Debatte

Die große Handy-Pause

Handys lenken ab – im Straßenverkehr und auf der Arbeit. Auch im Klassenzimmer stören Smartphones die Konzentration. Doch Schüler brauchen digitale Geräte auch zum Lernen. Besuch bei einer Schule, die das Dilemma mit Magnettechnik lösen will

von Michael Aust

· Lesezeit 7 Minuten.
Heimlich Tippen war gestern: An einer Kölner Schuler soll damit jetzt Schluss sein. Foto: Drazen – stock.adobe.com / Illustration Kreide: KAUTSCHUK/Nasta Reiss

Köln. Da liegt sie, die Hoffnungsträgerin: eine grau-grüne Tasche, etwa so groß wie eine Butterbrotdose. „Wir haben Hunderte davon bestellt, es hat ewig gedauert, bis sie aus England durch den Zoll gekommen sind“, berichtet Jens Wenzel, Englischlehrer am Gymnasium Schaurtestraße in Köln. Vor den Ferien haben er und seine Kollegen die Taschen in den Klassen verteilt. Ab dem nächsten Schuljahr sollen dann alle Schüler morgens ihre Handys darin verstauen – und die Etuis anschließend mit einem Magnet verschließen. „Öffnen können sie die Handytaschen nur mithilfe eines anderen Magneten“, erklärt Wenzel. „Und der ist erst nach der letzten Stunde zugänglich.“ 

Digitalgeräte wegschließen in der Schule? Was klingt wie die Kapitulationserklärung der digitalen Bildung, liegt gerade im Trend – und zwar weltweit. In Finnland etwa dürfen private Smartphones demnächst nur noch mit ausdrücklicher Genehmigung durch Lehrkräfte genutzt werden. Dänemark hat gerade beschlossen, private Handys aus allen Schulen zu verbannen. Auch Österreich plant ein Verbot. In Neuseeland und den Niederlanden gilt das längst – ebenso in Frankreich, Italien und einigen Regionen Spaniens. 

Hessen hat bereits ein Handyverbot

Auch in Deutschland wird gerade viel über Handyverbote an Schulen diskutiert. In Hessen ist es bereits beschlossen: Die Nutzung privater Smartphones ist hier für Schüler ab August tabu. Bayern hat Handys zumindest an Grundschulen verboten, weiterführende Schulen können selbst entscheiden, wie sie mit dem Thema umgehen. Und NRW hat alle Schulen aufgerufen, bis zum Herbst eigene Regeln für die Handynutzung in die Schulordnung aufzunehmen.

Am Kölner Gymnasium Schaurtestraße kümmern sich Jens Wenzel und sein Kollege Andy Schöller um das Thema digitale Bildung. Gerade haben sie gemeinsam mit der Stadt Köln ein Projekt aufgesetzt, mit dem alle Schüler ab der neunten Klasse ein eigenes iPad für den Unterricht bekommen. „Digitale Devices im Unterricht sind zentral für die Bildung im 21. Jahrhundert“, sagt Wenzel. Schüler profitierten stark von multimedialen Schulbüchern. „Auch Projektarbeit mit verschiedenen Medien wird dadurch möglich.“ Gerade behandle er mit einer Klasse im Erdkundeunterricht das Thema China, sagt Wenzel: „Die Schüler erstellen zu einer Forschungsfrage auf ihrem iPad ein multimediales Projekt – zum Beispiel darüber, welche Auswirkungen der Handelskrieg zwischen den USA und China hat.“ Bilder, Videos, Grafiken, Audio-Schnipsel: All das lasse sich digital in den Projektarbeiten verbinden.

Probieren Neues: Mathelehrer Andy Schöller, Schulleiterin Anja Veith-Grimm und Englischlehrer Jens Wenzel (v. l.) vom Kölner Gymnasium Schaurtestraße. Fotos: KAUTSCHUK/Daniel Roth (Personen); karoundjens.com (Tablets): Illustrationen Kreide: KAUTSCHUK/Nasta Reiss

Geht‘s jetzt zurück in die Kreidezeit?

Aber wenn digitale Bildung so wichtig ist – wie passt da ein Handyverbot? Diese Frage bewegte auch die Eltern, als Wenzel und Schöller ihnen auf einer Schulversammlung im Herbst erstmals von den Handytaschen erzählten. „Wir wollen nicht zurück in die Kreidezeit“, beschwichtigt Mathelehrer Schöller. Aber es gebe eben Unterschiede zwischen Schul-iPads und privaten Smartphones. „Zum Beispiel lassen sich unsere iPads so steuern, dass Schüler auf ihnen nur zugelassene Programme nutzen können.“ Im Übrigen seien die negativen Folgen privater Handynutzung an Schulen inzwischen gut belegt: „Cyber-Mobbing, gefährliche Schönheitsideale durch Social Media und eine abnehmende Konzentrationsfähigkeit sind die Stichworte.“

Tatsächlich konnten Forschende am Lehrstuhl für Schulpädagogik der Universität Augsburg kürzlich zeigen, dass ein Handyverbot an der Schule die Lernleistungen und das soziale Miteinander verbessern kann. Sie trugen dafür in einer Meta-Studie Ergebnisse internationaler Untersuchungen zusammen. „Unser Ergebnis bestätigt die Erfahrungen vieler Lehrkräfte vor Ort: Das Smartphone in der Tasche oder auf dem Tisch kann Lern- und Bildungsprozesse verhindern“, sagt Studienautor Tobias Böttger. Den Grund dafür sieht Andy Schöller vor allem im Suchtfaktor der Apps: „Ist ein Handy in Griffweite, verspürt man immer den Impuls, kurz etwas nachzuschauen.“ Dem zu widerstehen, falle schon Erwachsenen schwer: „Wie sollen Kinder das ohne Hilfe schaffen?“

Dass das ständige Ping aus der Hosentasche vom Wesentlichen ablenken kann, merken auch viele Betriebe. Der Hydraulik-Komponenten-Hersteller Hawe in Aschheim bei München etwa vermittelt neuen Azubis deshalb direkt beim Einstieg klare Regeln: „Mit Ausbildungsstart muss klar sein: Handy weg, Ohrstöpsel raus“, erklärt Ausbildungsleiterin Marion Huber. „Das eigene Smartphone gehört nicht zu den Werkzeugen im Betrieb. Auch am Büroarbeitsplatz kommen private Geräte nur in der Pause auf den Tisch.“

Wer im Betrieb Regeln missachtet, riskiert eine Abmahnung. In Schulen ist die Lage komplexer: Hier geht es um Kinder – und um Lehrkräfte, die von der permanenten Kontrolle oft überfordert sind. „Unsere Erfahrung ist: Handys einfach nur verbieten, das klappt nicht“, sagt Wenzel. Das Prinzip Einkassieren funktioniere nämlich nur bedingt: „Wie viele Handys willst du in der Pause einsammeln? Damit könnten wir uns als Lehrkräfte den ganzen Tag beschäftigen.“ Und was passiert, wenn eines der teuren Geräte beim Einsammeln kaputt- oder verloren geht? Solche Haftungsrisiken sprechen für Wenzel auch gegen Lösungen wie Handy-Hotels oder -Tresore.

Klick – und auf: Die Schüler können die Handytaschen nach dem Unterricht an Magnet-Stationen entsperren. Projekt „Schaurte-Smartphone-Pause“: Die Kölner Schule ist deutschlandweit die erste, die Yondr-Taschen einführt. Fotos: KAUTSCHUK/Daniel Roth

Nur wenige schulen haben iPads für alle

Über eine Recherche in Kanada und einen Hinweis ihrer Schulleiterin stießen Wenzel und Schöller letzten Sommer auf das Start-up Yondr. Die US-Firma produzierte ihre magnetisch verschließbaren Handytaschen ursprünglich für Bands, die es leid waren, auf Konzerten nur noch in Smartphones statt in Gesichter zu gucken. „Dasselbe Konzept nutzen weltweit inzwischen auch Schulen“, sagt Wenzel. „Wir haben uns gedacht, warum probieren wir das nicht aus?“ 

In Deutschland sind die Kölner nun die erste staatliche Schule, die ab Sommer Yondr-Taschen einführt. „Schaurte-Smartphone-Pause“ nennt das Gymnasium das Projekt – schließlich gehe es nicht um ein Handyverbot, sondern nur um eine „vier- bis fünfstündige Pause“ am Vormittag. Ein Vorteil der 15 Euro teuren Etuis sei, dass sie immer bei den Schülern bleiben, sagt Wenzel. Er gibt zu, dass man das System auch überlisten kann – etwa durch ein Zweit-Handy. „Aber es wird schwieriger. Ich denke, dass sich 80 Prozent der Schüler daran halten – und wir den Rest besser kontrollieren können.“ 

Doch was passiert, wenn plötzlich die große Leere entsteht? Wenn Schüler kein „Clash Royale“ und „Block Blast“ mehr in der Pause spielen können, kein schneller Snapchat- oder Whatsapp-Check mehr möglich ist. „Das Problem ist uns bewusst“, sagt Schöller. Deshalb will die Schule ihre „Smartphone-Pause“ auch mit verschiedenen Aktionen begleiten: mit Spielgeräten für den Schulhof etwa und Projekttagen zu digitaler Bildung. 

Seit Medien über das Projekt berichten, hätten schon einige Schulen angefragt, berichtet Schöller. Dass alle Klassen in Deutschland demnächst auf Handys im Unterricht verzichten, ist indes unwahrscheinlich: In einer Umfrage des Verbands Bildung und Erziehung gaben bundesweit nur 14 Prozent der Schulleiter an, dass ihre Schule genug Tablets für den digitalen Unterricht zur Verfügung hat. An allen anderen Schulen werden private Geräte wohl noch gebraucht.

Und wie sieht es außerdem mit der Handynutzung am Arbeitsplatz aus? Das erläutern wir hier in aller Kürze:

  • PDF