Chefgespräche
Das Geschäft wird komplexer
Nachwuchsmangel, Nachhaltigkeit, E-Mobilität – solche Themen treiben die Branche um. Was muss sie tun, um zukunftsfähig zu bleiben?
von Werner Fricke
Hannover. In Zeiten großer Umbrüche – wirtschaftlich, gesellschaftlich und ökologisch – steht die Kautschuk- und Kunststoffindustrie vor komplexen Herausforderungen. Im Chefgespräch erläutert Professor Dr. Ulrich Giese, Leiter des Deutschen Instituts für Kautschuktechnologie (DIK), wie sich knappe Fördermittel, der Wandel im Berufsverständnis junger Menschen und die Anforderungen der E-Mobilität auf die Branche auswirken.
In wirtschaftlich und politisch angespannten Zeiten werden ja oft Forschungsgelder gestrichen. Wie stark spüren Sie das?
Giese: Das merken wir leider sehr deutlich. Die Industrie ist aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage zum Sparen gezwungen. Und auch die Fördermittel gehen deutlich zurück. Kurzum: Wir spüren die Probleme mit voller Wucht.
Ein weiteres allgemeines Problem: Junge Menschen legen mehr Wert auf Freizeit und zeigen weniger Interesse am Beruf und an der Weiterbildung. Wie stark erleben Sie diesen Wandel in Ihrem Institut?
Giese: Wo immer man hinhört, wird einem dieser Wandel bestätigt. Die Studierendenzahlen in unseren Fächern sind extrem niedrig, viele Hörsäle bleiben leer. Generell müssen wir feststellen, dass das Interesse an der Forschung nachgelassen hat. Im Gegensatz zu früher achten Studierende heute stärker darauf, pünktlich Feierabend zu machen. Dass sie zu Hause bis spät in die Nacht tüfteln und forschen, ist seltener geworden. Ich will nicht sagen, dass sie weniger fleißig sind – wohl aber, dass ihr Einsatz häufig innerhalb eines Acht-Stunden-Tages beschränkt ist. Darüber hinaus hat das Image unserer Branche, insbesondere von Kunststoffen, stark gelitten. Es wird zu undifferenziert behauptet: „Plastik ist böse.“
Was muss da getan werden?
Giese: Die Aufklärung in der Schule ist entscheidend. Deshalb sage ich: Jugendevents für Naturwissenschaften und Technik wie die IdeenExpo waren noch nie so wichtig wie heute. Auf solchen Veranstaltungen können die jungen Leute aus erster Hand miterleben, welche Erfolge die Industrie auch im Bereich der Nachhaltigkeit bereits erzielt hat.
Die E-Mobilität ist in aller Munde. Was bedeutet dieser Wandel für unsere Branche?
Giese: Um es auf den Punkt zu bringen: Es wird deutlich komplexer. Gerade auch für die Automobilzulieferer. Denn die Mobilitätswende erfordert anspruchsvollere Gummiteile, die den spezifischen Anforderungen der E-Fahrzeuge standhalten. Elektrofahrzeuge haben durch die Batterie ein höheres Gewicht und eine andere Dynamik, was ganz neue Anforderungen an Materialien stellt. Das E-Auto braucht gegenüber dem Verbrenner weniger, dafür aber speziellere Teile. Etwa bei der Geräuschdämpfung oder bei der Temperaturbeständigkeit. Die Entwickler in den Betrieben sind daher gefordert. Gummikomponenten müssen außerdem zunehmend aus Recyclingmaterial hergestellt werden oder einen reduzierten CO2-Fußabdruck aufweisen, zum Beispiel durch den Einsatz biobasierter Materialien. In der Forschung entwickeln wir deshalb neue Werkstoffe, die den Belastungen moderner Mobilitätskonzepte standhalten – und gleichzeitig nachhaltiger produziert werden können.
Damit sind wir beim Thema Nachhaltigkeit. Welche Entwicklungen treiben Sie da momentan um?
Giese: Nachhaltigkeit ist für uns in der Tat eines der zentralen Themen. Es gibt viele Ansätze, die Umweltbelastungen zu reduzieren. Ein besonders relevanter Bereich ist die Reifenrunderneuerung, die im Lkw-Bereich seit langer Zeit eine wichtigere Rolle spielt. Wenn wir Reifen runderneuern, statt sie neu zu produzieren, sparen wir erhebliche Mengen an Rohstoffen und reduzieren Abfälle. Runderneuerte haben bei sorgfältiger Prüfung und Erneuerung fast die gleiche Lebensdauer wie Neureifen. Das ist eine Win-win-Situation für Umwelt und Wirtschaft.
Wie kann das DIK dabei helfen, all diese Herausforderungen zu meistern?
Giese: Glücklicherweise haben wir eine hervorragende Basis, um solche Aufgaben anzugehen. Unser Institut genießt international einen ausgezeichneten Ruf und ist weltweit einzigartig in der Kombination von Disziplinen wie Materialentwicklung, Simulation, Chemie, Physik und Verarbeitung. Durch diese interdisziplinäre Zusammenarbeit können wir innovative und nachhaltige Lösungen entwickeln, die für die gesamte Kautschukindustrie von Bedeutung sind. Gerade in der Materialentwicklung und Simulation haben wir einen Vorsprung, der uns hilft, qualitativ hochwertige und nachhaltigere Produkte zu erforschen.
2025 steht vor der Tür: Was wünschen Sie der Branche und dem Institut für das neue Jahr?
Giese: Ich wünsche mir, dass wir nicht nur innovative Technologien voranbringen, sondern auch verstärkt junge, engagierte Talente gewinnen, die mit uns gemeinsam die Branche weiterentwickeln. Die Kautschukforschung bietet viele spannende und zukunftsweisende Aufgaben, und ich hoffe, dass wir uns als attraktiver Arbeitgeber positionieren können. Mit unserer Kompetenz und dem internationalen Renommee unseres Instituts haben wir beste Voraussetzungen, einen entscheidenden Beitrag zur nachhaltigen Transformation der Kautschukindustrie zu leisten.