Chefgespräche

Fairness für einen halben Euro

Naturkautschuk steckt überall – doch wer ihn erntet, bleibt oft unsichtbar. Stefan Hörmann vom Verein Fair Rubber spricht über gerechten Handel und nachhaltigen Anbau

von Roman Winnicki

· Lesezeit 5 Minuten.
Handarbeit für den Weltmarkt: Ein Plantagenarbeiter ritzt einen Kautschukbaum an – so beginnt die Ernte eines global gefragten Rohstoffs. Foto: Martin Kunz

Bonn. Naturkautschuk ist ein weltweit begehrter Rohstoff. Rund 85 Prozent der gehandelten Mengen stammen von Kleinbauern im globalen Süden. Doch viele der Menschen, die ihn gewinnen, leben von sehr wenig. Die Arbeit auf den Plantagen ist körperlich hart, der Ertrag gering. Ein Kautschukzapfer in Indonesien kommt auf etwa 90 Euro im Monat, weiß Stefan Hörmann, Geschäftsführer des Vereins Fair Rubber. Im Chefgespräch spricht er über nachhaltige Lieferketten, Verantwortung und warum eine gerechtere Welt bei 50 Cent pro Kilo beginnen kann.

Herr Hörmann, jeder kennt das Fairtrade-Logo auf Kaffee oder Schokolade. Aber warum Gummi?

Hörmann: Weil es jeden betrifft, auch wenn es den meisten nicht bewusst ist. Denn Gummi steckt in unzähligen Alltagsprodukten wie Flip-Flops, Yogamatten oder Reifen. Wie die Fairtrade-Initiative setzen wir uns für existenzsichernde Löhne, menschenwürdige Arbeitsbedingungen und nachhaltige Lieferketten ein. 

Was steckt hinter Fair Rubber – und den 50 Cent? 

Hörmann: Fair Rubber ist ein Verein, der den Handel mit Naturkautschuk gerechter gestalten will. Unsere Mitgliedsunternehmen zahlen für jedes Kilogramm Naturkautschuk-Trockenmasse, das sie aus unseren zertifizierten Quellen beziehen, eine Fairtrade-Prämie von 50 Cent. Dieses Geld geht zu 100 Prozent an unsere Produzentenpartner – also an Plantagen beziehungsweise Kooperativen im globalen Süden.

Auf der Plantage: Stefan Hörmann (links) trifft den indischen Zapfer Alfons, der mit den Fairtrade-Prämien die medizinische Behandlung seines kranken Sohnes finanziert. Steter Tropfen: Der Milchsaft des Kautschukbaums fließt in eine Schale. Fotos: Martin Kunz

Wer entscheidet, was mit der Prämie geschieht und warum braucht es dafür eine Kooperative?

Hörmann: Die Gruppen vor Ort entscheiden selbst, wofür sie die Prämien verwenden, ob für den Bau einer Brücke, den Kauf von organischem Dünger, medizinische Versorgung oder bessere Löhne für die Zapfer. Wir mischen uns nicht ein, aber die Verwendung der Gelder muss transparent sein. Damit solche Entscheidungen demokratisch getroffen werden, setzen wir die Gründung einer Kooperative voraus. So helfen wir den Kleinbauern, sich gemeinschaftlich zu organisieren – und als Marktteilnehmer besser zu positionieren.

Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?

Hörmann: In Indonesien haben sich Kleinbauern entschlossen, neue Kautschukplantagen anzulegen, und zwar nicht auf ökologisch sensiblen Flächen, sondern auf brach liegendem Ackerland. Gepflanzt wird im Agroforstsystem, das heißt zusammen mit Pflanzen wie Ananas oder Bananen. Das stärkt die Artenvielfalt, eröffnet zusätzliche Einkommensquellen und schützt die Kautschukbäume vor Krankheiten wie Pilzbefall.

Was muss erfüllt sein, damit Sie sagen: Das ist fair gehandelter Naturkautschuk?

Hörmann: Dafür haben wir einen eigenen Kriterienkatalog, der von unabhängigen Auditoren überprüft wird. Darin sind soziale Mindeststandards wie das Verbot von Kinder- und Zwangsarbeit, das Recht auf Versammlungsfreiheit der Plantagenarbeiter sowie Mindestlöhne festgelegt. Hinzu kommen ökologische Anforderungen: Zum Schutz der Artenvielfalt dürfen keine neuen Waldflächen gerodet werden. Und wer Pestizide einsetzt, muss dies dokumentieren und im Umgang damit geschult sein. 

Sichel im Einsatz: Das Gummizapfmesser gehört zum Handwerkszeug eines jeden Zapfers (Bildmitte). Wetterschutz: Die blauen Folien halten Regenwasser von der Schale fern. Vom Milchsaft zum Endprodukt: Gummi steckt in unzähligen Alltagsprodukten wie Flip-Flops, Yogamatten oder Fahrradreifen. Fotos: Martin Kunz; Reifen/Flip-Flops/Yogamatte: Winai Tepsuttinun; cobaltstock; zcy – stock.adobe.com

Wie entwickelt sich Fair Rubber derzeit?

Hörmann: Wir haben in kurzer Zeit stark zugelegt. Seit 2021 hat sich die über uns gehandelte Menge an fairem Kautschuk auf über vier Millionen Kilogramm verzwölffacht. Das entspricht rund zwei Millionen Euro an ausgezahlten Prämien. 

Wie ist der Verein organisiert – und wer bestimmt mit?

Hörmann: Unsere Arbeit finanzieren wir fast ausschließlich über Mitgliedsbeiträge. Organisiert ist Fair Rubber als sogenannte Multi-Stakeholder-Initiative. Jedes Mitglied hat eine Stimme – egal ob NGO oder Unternehmen. Auch im Vorstand achten wir auf Ausgewogenheit: zwei Vertreter aus der Zivilgesellschaft, zwei aus der Wirtschaft. Und mit drei Teilzeitkräften in Bonn sind wir bewusst sehr schlank aufgestellt, damit möglichst viel bei den Kleinbauern und Plantagenarbeitern ankommt. 

Lässt sich das Fair-Rubber-Modell auch groß denken?

Hörmann: Die Mengen, die wir heute bewegen, reichen schon für industrielle Maßstäbe. Das Potenzial ist aber noch nicht ausgeschöpft. Bestehende Quellen könnten ausgebaut oder neue Strukturen geschaffen werden. Wir führen dazu Gespräche mit Unternehmen aus der Reifen- und Automobilindustrie – das Interesse ist da.

Bleibt am Ende die Kostenfrage …

Hörmann: Wir haben das einmal durchgerechnet: Naturkautschuk aus fairem Handel würde ein Auto im Schnitt um 6 Euro verteuern. Das ist aus unserer Sicht machbar. Damit das aber funktioniert, müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Denn wer nachhaltig einkauft, zahlt aktuell drauf, weil gesetzliche Anreize fehlen. Nachhaltigkeit sollte zum Standard werden – nicht zum Aufpreis.

 

Fair Rubber – die Fakten

Der Verein Fair Rubber setzt sich seit 2012 für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen der Kautschukproduzenten ein. Über 30 Mitglieder unterstützen dieses Ziel – darunter der Reifenhersteller Schwalbe, der Kondomproduzent Karex oder NGOs wie der Global Nature Fund. Unternehmen zahlen eine Fairtrade-Prämie von 50 Cent pro eingekauftem Kilogramm Naturkautschuk. Das Geld geht direkt an die Lieferanten, die selbst über die Verwendung entscheiden. Fair gehandelte Produkte sind am Fair-Rubber-Logo zu erkennen.

  • PDF