Mitarbeiterporträts
Keine klassische Karriereleiter
Von der Quereinsteigerin zur Teamleiterin: Vor 15 Jahren kam Amandeep Sharma aus Indien nach Deutschland. Heute trägt sie bei Motzener Führungsverantwortung. Wie hat sie das geschafft?
von Isabel Link

Mittenwalde. Sie gehört zu den Menschen, die allein mit ihrem Lächeln einen Raum erhellen können: Amandeep Sharma. Die Facharbeiterin ist seit sechs Jahren Teamleiterin in der Endfertigung bei der Motzener Kunststoff- und Gummiverarbeitung. In diesem Job ist sie dafür verantwortlich, dass alle maschinell gefertigten Teile in einen perfekten Zustand gebracht und für den Versand an den Kunden vorbereitet werden. „Wir stellen Hochleistungsdichtungen her, da ist die Qualität unser wichtigster Wettbewerbsvorteil“, sagt Sharma.
Berufseinstieg über das Jobcenter
Dass sie einmal eine solche Position einnehmen würde, damit konnte sie nicht rechnen, als sie vor zehn Jahren ihren ersten Arbeitstag in dem südbrandenburgischen Betrieb hatte. Sharma stammt aus dem nordindischen Bundesstaat Punjab und folgte 2010 ihrem Mann nach Deutschland. Sie belegte einen Deutschkurs, nahm Gelegenheitsjobs an, dann kam ihr Sohn zur Welt. „Als er zwei Jahre alt war und ich einen Kitaplatz für ihn hatte, habe ich angefangen, mich auf feste Stellen zu bewerben“, erzählt Sharma. Über das Jobcenter kam sie zu Motzener – und fand hier ihre Berufung.
„Man hat von Anfang an gemerkt, dass sie sich engagieren will“, erinnert sich Geschäftsführer Matthias König. „Sie hat sich nicht nur schnell das nötige Wissen angeeignet, sondern sich auch im Handumdrehen in unser sehr umfangreiches Formteilesortiment hineingearbeitet.“
„Mutti-Schichten“ ohne feste Startzeit
Und das ist tatsächlich eine Leistung, denn das Produkt-Portfolio ist ebenso breit wie anspruchsvoll: Dichtungen, Dämpfer, Isolierungen, dazu Gummi- und Kunststoffformteile und nicht zuletzt komplexe Verbundteile. Jeder Auftrag verlangt Flexibilität, denn jeder Auftrag bringt eigene Anforderungen mit sich, ob nun für Kunden aus der Automobilindustrie, dem Maschinen- und Anlagenbau oder – nicht ganz alltäglich – aus der Rüstungsindustrie.
„Ich bin dankbar, dass ich diese tolle
Chance bekommen habe”
Amandeep Sharma, Teamleiterin bei Motzener
Flexibel zeigt sich der Betrieb aber auch gegenüber den rund 65 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. So gibt es hier beispielsweise die „Mutti-Schichten“, die keine festen Anfangszeiten haben, sondern je nach Bedarf individuell gestaltet werden können. Einzige Vorgabe: Am Ende der Woche müssen 40 Stunden auf dem Konto stehen. Damit will der Betrieb vor allem den Mitarbeiterinnen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtern – aus gutem Grund: Gerade in der Qualitätskontrolle ist das Unternehmen auf weibliche Fachkräfte angewiesen.
Finde den Fehler
„Frauen sind einfach besser darin, Materialfehler zu finden“, sagt König, und fügt halb bewundernd, halb scherzhaft hinzu: „Manche können quasi durch Handauflegen in eine Dichtung hineinsehen.“ In der Automobilbranche, betont er, sei diese 100-Prozent-Kontrolle das höchste Gut.
In der Qualitätskontrolle startete auch Mitarbeiterin Sharma. Sie kontrollierte Dichtungen und Deckel, sie schliff und entgratete. Und auch sie nutzte die elternfreundlichen Schichten: „So konnte ich morgens zwischen sieben und acht Uhr anfangen und nach der Arbeit meinen Sohn vom Kindergarten abholen.“
Heute beginnt ihr Arbeitstag um sechs Uhr. Zuerst prüft sie die Versandlisten: Welche Aufträge müssen heute raus? Als Nächstes sind die Vorprodukte an der Reihe. Dabei handelt es sich um vorgefertigte Teile, die sie zur Endbearbeitung und Qualitätskontrolle an die Kolleginnen und Kollegen verteilt. Ist alles in Ordnung, sorgt sie dafür, dass die Teile für den Weitertransport in die Verpackung kommen.
„Das ist ein Job, der viele Fähigkeiten erfordert – fachlich und menschlich“, sagt der Geschäftsführer. Und die bringe Sharma mit. „Sie ist nicht nur sehr kompetent, sondern sie besitzt auch eine positive Ausstrahlung und kann sich durchsetzen, wenn ihr etwas wichtig ist.“ Besonders in stressigen Zeiten, wenn viele Aufträge abgearbeitet werden mussten und der Druck hoch war, habe sich das bewährt.
Herausfordernde Führungsrolle
Vor allem ihr Talent, auch in hektischen Phasen mit Humor gelassen zu bleiben, hat Sharma den Respekt der Belegschaft eingebracht. Denn nicht alle waren anfangs begeistert, dass die Quereinsteigerin bereits nach wenigen Jahren eine Führungsrolle übernehmen sollte. Wie Sharma damit umgegangen ist? „Ich habe immer das Gespräch gesucht und ruhig und sachlich argumentiert“, sagt sie. Dann verzieht sie ihre rosa geschminkten Lippen zu einem verschmitzten Lächeln und ergänzt: „Aber heimlich bin ich ab und zu zum Chef gegangen und habe ihn um Rat gefragt.“
Nach wie vor sprechen sich die beiden regelmäßig ab. Im Team genießt Sharma aber längst volle Rückendeckung: „Kollegen haben mir schon gesagt, dass sie meinen Job nicht machen wollen – das sei viel zu anstrengend“, erzählt sie. „Aber mir macht es Spaß. Ich bin dankbar, dass ich diese tolle Chance bekommen habe.“
Motzener – die Fakten
Die Motzener Kunststoff- und Gummiverarbeitung GmbH in Brandenburg besteht seit fast 100 Jahren. Zu ihren Spezialgebieten gehört die Produktion von Dichtungen und Verbundformteilen aus Kautschuk und Kunststoff. Am Standort im Mittenwalder Ortsteil Motzen arbeiten rund 65 Beschäftigte.