Unternehmensreportagen
Kampf ums Comeback
Nur jeder fünfte Reifen ist runderneuert – obwohl Klima und Kosten dafür sprechen. Die Firma Marangoni zeigt, dass Secondhand besser ist als sein Ruf
von Isabel Link

Henstedt-Ulzburg. 135 Kilogramm CO2 – pro Lkw-Reifen. So viel lässt sich einsparen, wenn Unternehmen ihre Flotte mit runderneuerten statt neuen Reifen ausstatten. „Runderneuerte Reifen sind eine tolle Möglichkeit, um die CO2-Bilanz einer Firma zu senken, ohne auf Qualität zu verzichten“, sagt Daniel König. „Denn ob ein neuer oder ein runderneuerter Reifen auf der Felge steckt, merkt man beim Fahren überhaupt nicht.“ König ist Werkleiter bei Marangoni Retreading Systems, einem Unternehmen, das sich auf Runderneuerungsmaterialien für Lkw-, Bagger- und andere Nutzfahrzeugreifen spezialisiert hat. Pro Jahr produziert die Firma im Norden von Hamburg Material für die Runderneuerung von 650.000 Reifen. Das Geschäft läuft gut – trotzdem kämpft Marangoni bis heute gegen ein hartnäckiges Vorurteil.
„Früher war es völlig normal, dass man alle Reifen runderneuert hat“, sagt König. Gemeint ist die Zeit vor den 70ern – die Jahrzehnte nach dem Krieg, als Material knapp und Neuware teuer war. „Die Technik zur Runderneuerung ohne Qualitätsverluste war damals eine echte Erfolgsgeschichte – für alle Fahrzeuge.“ Doch mit dem Ende der Knappheit wuchs die Neureifenproduktion. Vor allem im Pkw-Bereich geriet das Geschäft mit Runderneuerten unter Druck. „Die Verbraucher verbanden mit etwas Neuem eine höhere Erwartung an die Leistung, dabei ist das Gegenteil der Fall“, sagt König. „Sie bekommen einen Reifen, der das Gleiche macht und den ökologischen Fußabdruck dabei noch erheblich senkt.“
Selbst Flugzeuge Landen damit
„In der Luftfahrt ist es gang und gäbe, dass jeder Reifen bis zu neunmal runderneuert wird, bevor man ihn ersetzt“, erklärt König. Das habe vor allem wirtschaftliche Gründe – denn Flugzeugreifen seien teuer. In einer so sensiblen Branche, sagt er, würde man kaum auf runderneuerte Reifen setzen, wenn sie nicht absolut gleichwertig wären. Trotzdem hält sich die Vorstellung, nur Neuware sei wirklich verlässlich.
„Im Reifengeschäft kommt der Gedanke der Nachhaltigkeit nur sehr langsam an“, sagt König. Dabei kann ein Pkw-Reifen einmal, ein Lkw-Reifen sogar bis zu dreimal runderneuert werden – ohne Einbußen bei Sicherheit, Komfort oder Qualität. Im Lkw- und Nutzfahrzeugsektor ist die Nachfrage höher – hier greifen viele Unternehmen bereits zu runderneuerten Reifen. Ein Grund: Sie müssen nachhaltiger wirtschaften und das auch nachweisen, etwa durch neue EU-Berichtspflichten.
Runderneuerte Reifen können dabei helfen, ohne dass es Einschränkungen gibt, sagt König. Denn ihre Herstellung spart nicht nur Strom, Wasser und Material, sondern auch CO2. Laut einer Studie des Fraunhofer-Instituts lassen sich dabei mehr als zwei Drittel der Emissionen, Rohstoffe und fossilen Energieträger wie Erdöl einsparen. Das Potenzial ist riesig. Trotzdem liegt ihr Marktanteil weiter bei nur etwa 20 Prozent.
Wettbewerb auf ungleichen Felgen
Marangoni ist in Europa Marktführer für Runderneuerungsmaterialien und hält rund 40 Prozent Marktanteil. Die Firma stellt Profile und Materialien her, mit denen neue Laufstreifen auf gebrauchte Reifenkarkassen aufgebracht werden. Seit vielen Jahren bietet Marangoni auch sogenannte Ringtreads an – vorgefertigte, geschlossene Laufflächen-Ringe, die exakt auf die Karkasse passen. Ihre Ringform macht den Unterschied: Die Lauffläche hat keine Naht, lässt sich spannungsfrei montieren und das Profil bleibt dabei unverformt. „Im Gegensatz zum klassischen Laufstreifen fällt viel weniger Abfall an und die Qualität ist nochmal deutlich gesteigert“, hebt König hervor.
Wie gut sich runderneuerte Reifen verkaufen, hängt stark von der wirtschaftlichen Großwetterlage ab. Nach der Weltfinanzkrise 2007/2008 standen viele Betriebe unter massivem Kostendruck, besonders Speditionen. „Damals kostete ein Premium-Lkw-Reifen etwa 500 Euro, ein runderneuerter Premium-Reifen nur rund 200 Euro. Da war unser Geschäft fast ein Selbstläufer“, sagt König.
Raus aus der Preisspirale
Heute ist das anders: Vor allem Unternehmen aus Fernost haben ihre Produktionskapazitäten massiv ausgeweitet und setzen den Markt mit günstigen Neureifen unter Druck. Das Preisargument tritt damit in den Hintergrund. „Aber das brauchen wir auch gar nicht mehr, unsere Hauptargumente sind Nachhaltigkeit, höchste Qualität sowie die sehr guten Produktionsbedingungen für Mensch und Umwelt an einem Standort im Herzen Europas “, sagt König. „Und die müssen wir aktiv vermarkten.“ Etwa über Reifenhändler – eine Zielgruppe, die früher kaum relevant war.
„Unser Vertriebsnetz wird gezielt geschult, um auf Reifenhändler zuzugehen und ihnen die Vorteile aufzuzeigen, die der Verbraucher hat, wenn er einen nachhaltigen Premiumreifen statt eines Neureifens kauft. Heute verkaufen wir keine Runderneuerungsmaterialien mehr, sondern nachhaltige Reifenlösungen. Genau das verbirgt sich hinter unserem Slogan sustainable tyre solutions“, sagt König.
Er wünscht sich, dass der Handel künftig nicht nur zwischen premium und preisgünstig unterscheidet, sondern auch eine dritte Kategorie etabliert: nachhaltig. „Ich bin überzeugt, dass Reifen aus echter Kreislaufwirtschaft einen wichtigen Beitrag zur grünen Transformation leisten werden. Dafür muss nur die ewige Jagd nach immer günstigeren Angeboten endlich raus aus den Köpfen.“
Marangoni – die Fakten
Die Marangoni-Gruppe beschäftigt weltweit rund 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und produziert an vier Standorten Materialien für die Runderneuerung von Lkw-Reifen. Im Werk in Henstedt-Ulzburg bei Hamburg sind rund 140 Personen beschäftigt. Das Unternehmen wurde 1919 von Heinrich Ellerbrock gegründet und ist seit 1990 Teil der italienischen Marangoni-Gruppe. Seit 2011 firmiert es unter seinem heutigen Namen.