Chefgespräche

Wie steht unser Standort da?

Christoph Ravenstein von der RavenGroup kennt viele Kautschukstandorte weltweit gut – und sieht Deutschland im Vergleich zunehmend kritisch

von Werner Fricke

· Lesezeit 5 Minuten.
Christoph Ravenstein: „Wenn wir weiterhin mithalten wollen, müssen wir uns die Fachleute aus dem Ausland holen." Foto: Uwe Mühlhäusser

Unternehmer Christoph Ravenstein ist ein Netzwerker in Sachen Kautschuk. Er ist 200 Tage im Jahr auf Achse. Europa, Fernost und vor allem Lateinamerika sind seine Reiseziele. Immer geht es um die industrielle Fertigung. Sein wichtigstes Kapital sind Erfahrung und Menschenkenntnis. Er sagt: „Unsere Politik in Deutschland darf nicht die falschen Prioritäten setzen.“ Das Chefgespräch kurz vor Ostern führt er in seinem neuen Zuhause in Bratislava.

Herr Ravenstein, wenn Sie morgens aufwachen, wissen Sie dann immer, in welchem Land Sie gerade sind?

Nicht immer, aber meistens. Mit der Zeit gewöhnt man sich an die Reiserei. Ich mache das ja schon eine ganze Weile.

Wir wissen, dass Sie schon 2007 ihre erste Fabrik im mexikanischen Monterrey aufgebaut haben.

Stimmt, allerdings war ich schon vorher für den Automobilzulieferer Woco viel auf Reisen. Wir hatten sehr viele Kunden mit ausländischen Standorten. Ich kenne das Gefühl deshalb sehr gut, in fremden Betten zu schlafen.

Sie stammen aus dem hessischen Kinzigtal. Dort gibt es viele Kautschukunternehmen wie eben Woco. Warum leben Sie jetzt in Bratislava und nicht in Bad Soden-Salmünster?

In Bratislava lebt meine Familie. Meine Frau ist Slowakin, unser Sohn kam hier zur Welt. Und außerdem lässt es sich hier sehr gut leben. Die Altstadt ist sehr schön. Die Stadt ist voller Tradition, aber sehr modern, mit vielen Studenten, es gibt viel Natur. Das passt für mich einfach ideal. Von zu Hause aus fahre ich mit dem Bus nur eine Dreiviertelstunde bis zum Flughafen Wien. Auch die digitale Infrastruktur ist sehr gut. Überhaupt ist vieles, was wir in Deutschland dringend brauchen, hier selbstverständlich. Ich erlebe sehr oft, dass man sich hier wundert „Wie – das habt ihr in Deutschland noch nicht?“. Aber in manchen Dingen ist der Standort Slowakei hinterher.

Wie meinen Sie das?

Es fehlt an Toleranz gegenüber Flüchtlingen. Die Politik in der Slowakei hat nicht erkannt, dass eine andere Asylpolitik nicht nur Risiken, sondern vor allem auch Chancen bietet.

Mit Blick auf Fachkräfte?

Genau. Ich bin sicher, das Fachkräfteproblem in Europa ist nur mit einer anderen Einwanderungspolitik lösbar. Für Deutschland sehe ich keine Alternative. Wir gelten in der Welt als zuverlässig, pünktlich, innovativ. Doch diesem guten Ruf können wir nur gerecht werden, wenn ausreichend gute Mitarbeiter zur Verfügung stehen. Die demografische Entwicklung in Deutschland geht allerdings in eine andere Richtung. Wenn wir also weiterhin mithalten wollen, müssen wir uns die Fachleute aus dem Ausland holen.

RavenGroup: Standort der Firmengruppe in Mexiko. Foto: RavenGroup

RavenGroup: Standort der Firmengruppe in Mexiko. Foto: RavenGroup

Dann lassen Sie uns ins Ausland schauen – zum Beispiel nach Mexiko, wo für Ihre RavenGroup alles begann. Wie fällt Ihr Standortvergleich aus?

Mexiko ist sehr jung in jeder Hinsicht. Das Durchschnittsalter liegt bei 26 Jahren, in Deutschland sind es knapp 45 Jahre. Das sagt eigentlich schon sehr viel: Der größte Teil der Menschen in beiden Ländern setzt völlig unterschiedliche Prioritäten. Während sich viele Menschen mittleren Alters in Deutschland mit dem Erreichten zufriedengeben, streben in Mexiko sehr viele gerade junge Menschen nach einem höheren Lebensstandard.

Ihre Unternehmensgruppe unterstützt diesen Aufstiegshunger, inzwischen beschäftigen Sie in Mexiko mehr als 500 Mitarbeiter. Außerdem helfen Sie kleinen und mittelständischen Unternehmen, wenn die auf dem lateinamerikanischen Markt einsteigen wollen. Welches sind Ihre wichtigsten Botschaften an Neueinsteiger?

Um in Mexiko erfolgreich zu sein, muss man die Geschichte und den Einfluss der verschiedenen Kulturen kennen. Sonst wird man das Land und die Leute nur bedingt verstehen und sein Unternehmen nicht erfolgreich führen können. Es sind oft Kleinigkeiten, die dort im Alltag entscheidend sind. Wir haben in Deutschland die Mentalität „Das muss so gehen, wenn wir es einmal gesagt und entschieden haben“. In Mexiko ist das längst nicht so. Das mag auch damit zu tun haben, dass das Vertrauen in Politik und Staat so gering ist: Die Menschen sehen, dass viele Politiker von heute auf morgen zu Millionären werden, auch auf in Deutschland nicht akzeptablen Wegen. Diese Skepsis gegenüber Entscheidungsträgern muss man kennen, und man muss mit ihr umzugehen wissen. Dennoch: Mexiko bietet gerade für deutsche Unternehmen große Chancen als Produktionsstandort für den nord- und mittelamerikanischen Markt.

Sie sind auch viel in der Türkei unterwegs. Wie fällt Ihr Urteil über den Industriestandort Türkei aus?

Deutlich besser, als man angesichts der jüngsten Berichte über die wirtschaftliche und politische Situation vermuten könnte. Die Türkei ist wie Mexiko ein aufstrebender Industriestandort. In der Türkei finden Sie sehr viele dynamische und risikofreudige Unternehmer der Privatwirtschaft, die gerade für deutsche Firmen sehr interessante Kooperationspartner darstellen. Es ergeben sich jetzt viele interessante Beteiligungschancen, zumal Deutschland als Technologieanbieter hoch angesehen ist.

Jedes Mal, wenn ich im Ausland bin und deutsche Nachrichten schaue, zweifle ich übrigens, ob wir uns in Deutschland eigentlich die richtigen Fragen stellen. Selbstverständlich sind Themen wie die Klimakrise und Nachhaltigkeit extrem wichtig für unsere Zukunft. Wenn wir in diesem Zusammenhang aber das Auto kaputtreden, obwohl es nur einen kleinen Anteil an der Problemlösung hat, führen wir meiner Meinung nach die falschen Debatten – nämlich Debatten, die den Standort Deutschland schädigen.

Worüber müssten wir stattdessen debattieren?

Wir sollten stärker auf die Innovationskraft der deutschen Betriebe setzen. Dass viele Unternehmen immer weniger in ihre deutschen Standorte investieren, sollte uns stark zu denken geben. Ich sehe einen schleichenden Prozess, der in eine gefährliche Richtung führt: eben weg vom Industriestandort Deutschland, mit allen negativen Folgen für die Volkswirtschaft und die Arbeitsplätze. Ein Beispiel: Die Arbeitswelt wird sich radikal verändern, einerseits durch den angesprochenen Fachkräftemangel, andererseits durch Technologien. Wo immer möglich, sollten wir deshalb verstärkt auf Automatisierung setzen – und so die Beschäftigten für anspruchsvollere Aufgaben freispielen. Ich glaube, dieser Blickwinkel, wie sich die Arbeitswelt zukunftsfähig gestalten und dadurch industrieller Wohlstand im Land halten lässt, fehlt der Politik.

Kautschukteile: Das Unternehmen produziert vor allem für Haushaltsgerätehersteller und die Automobilindustrie. Foto: Uwe Mühlhäusser

Kautschukteile: Das Unternehmen produziert vor allem für Haushaltsgerätehersteller und die Automobilindustrie. Foto: Uwe Mühlhäusser

RavenGroup – die Fakten

Christoph Ravenstein hat 2007 mit der Produktion von Gummi- und Kunststoffteilen in Mexiko begonnen – zunächst für Hausgeräte, später auch für die Automobilindustrie. Seine RavenGroup umfasst heute mehr als 17 Unternehmen in acht Ländern und hat über 250 Geschäftspartner. Ravenstein berät vor allem kleine und mittelständische Firmen beim Einstieg in internationale Märkte. Die Europazentrale befindet sich in Nürnberg.

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