Chefgespräche

Wohlstand – nicht selbstverständlich!

Die Europawahl im Blick: Jens Harde, einer der drei Geschäftsführer bei der Weidemann GmbH, spricht Klartext – über die EU-Politik, die Transformation der Wirtschaft und die Auswirkungen von Demografie und Bildung auf die Betriebe

von Werner Fricke

· Lesezeit 5 Minuten.
Das Geschäftsführer-Trio der Weidemann GmbH: Thomas Tilly, Jens Harde und Bernd Apfelbeck (von links) vor dem Verwaltungsgebäude in Korbach. Foto: Wiedemann

Korbach. Unnötige Regelungen und „bürokratische Monster“ belasten die Wirtschaft, meint Jens Harde. Der 61-Jährige ist Geschäftsführer Operations bei der Weidemann GmbH im hessischen Korbach. Dort rollen auf Gummirädern in allen Größen Arbeitsmaschinen wie Rad- und Teleskoplader vom Band. Mit KAUTSCHUK spricht er über Hürden und Herausforderungen und die anstehende Europawahl.

Herr Harde, in wenigen Wochen ist Europawahl. Sie kennen die Industrie aus verschiedenen Positionen, haben auch schon für einen US-Konzern gearbeitet – welche Weichen sollte die Politik aus Sicht der Betriebe stellen?

Harde: Eine erfolgreiche Industrie ist die Basis für unseren gesellschaftlichen Wohlstand. Dass es uns allen insgesamt so gut geht, ist nicht selbstverständlich, sondern das Ergebnis einer permanenten Weiterentwicklung der verschiedenen Wirtschaftszweige und einzelnen Firmen. Speziell die technologische und organisatorische Weiterentwicklung lässt uns im globalen Wettbewerb bestehen. Mein Eindruck ist, dass in weiten Teilen der Politik ein falsches Bild über die Wirtschaft vorherrscht. Dabei beobachte ich, dass viele Politiker diese Weiterentwicklung mittlerweile als zu selbstverständlich ansehen.

Was heißt das konkret?

Harde: Ich registriere oft, dass vielen Menschen, besonders in der Politik, nicht bewusst ist, in welch großem Veränderungsprozess sich die Industrie befindet. Diese geht durch die größte Transformation, den größten Umbau ihrer Geschichte. Wegen der globalen Wettbewerbsfähigkeit können wir uns meines Erachtens keine unnötigen Regelungen und bürokratischen Monster leisten. Es ist zwingend erforderlich, den gemeinsamen europäischen Binnenmarkt zu nutzen, um die Freizügigkeit der Arbeitnehmer sicherzustellen, und dabei die Kräfte zu bündeln, die die Entwicklung von Zukunftstechnologien aktiv unterstützen.

                            

Die EU hat in den letzten Jahren zahlreiche Richtlinien und Verordnungen geschaffen, die von der Wirtschaft als überbürokratisch kritisiert werden. Wie bewerten Sie diese Diskussionen?

Harde: Nehmen wir als Beispiel die EU-Lieferkettenrichtlinie. Das Vorhaben überschreitet gleich mehrere Grenzen. Zum einen können insbesondere mittelständische Unternehmen den Prüfungsaufwand nicht leisten und zum anderen bedeutet diese Richtlinie eine erhebliche Kostensteigerung im Beschaffungs- und Produktionsprozess. Man kann fast den Eindruck gewinnen, dass der Personenkreis, der sich damit innerhalb der EU beschäftigt, uns als Unternehmen nicht vertraut. Es werden permanent zusätzliche neue Richtlinien und Verordnungen geschaffen, die von ihren Grundideen zum Teil richtige Ziele verfolgen, aber in der Umsetzung zu einem nicht vertretbaren Aufwand führen.

Was ist aus Ihrer Sicht zu tun?

Harde: Es gilt absolut, unnötigen Aufwand zu vermeiden, indem wir die erforderlichen Prozesse besonders effizient und möglichst automatisiert beziehungsweise digitalisiert gestalten. Die EU macht Gesetze in dem Glauben, Wirtschaft und Wohlstand zu stärken. Tatsächlich fühlen sich die Unternehmen aber in Summe zunehmend von einer überbordenden EU-Politik geschwächt. Wichtig für unsere Zukunftsfähigkeit ist, die Gesetzgebung zu vereinfachen, überholte Vorschriften zu identifizieren und abzuschaffen. Der Schalter muss umgelegt werden, damit Europa im globalen Vergleich wettbewerbsfähig bleibt.

Klein und wendig oder groß und leistungsstark: Die vielseitigen Arbeitsmaschinen der Frima Weidemann sind in zahlreichen Branchen im Einsatz. Foto: Weidemann

Klein und wendig oder groß und leistungsstark: Die vielseitigen Arbeitsmaschinen der Frima Weidemann sind in zahlreichen Branchen im Einsatz. Foto: Weidemann

Lassen Sie uns von der EU-Politik zu den regionalen Standortbedingungen kommen. Sie haben von großen Veränderungsprozessen in den Unternehmen gesprochen. Dazu zählt auch die demografische Entwicklung. Es kommen weniger junge Menschen nach, und zugleich ist zu beklagen, dass sie immer weniger qualifiziert sind.

Harde: Das stimmt und ist eine große Herausforderung für die Wirtschaft. Die Ergebnisse der jüngsten Pisa-Studie haben leider gezeigt, dass Deutschland bereits den Anschluss an vergleichbare Industrieländer verloren hat. Das ist natürlich ein Desaster für eine Nation, die auf den Rohstoff „schlaue Köpfe“ angewiesen ist, um ihren Wohlstand zu sichern. Die Qualität der Bewerber um beispielsweise Ausbildungsplätze sinkt bedauerlicherweise kontinuierlich – sowohl fachlich als auch in der persönlichen Entwicklung. Hier hat zudem Corona tiefe Spuren hinterlassen. Mit dem Wissen von heute erkennen wir, dass es ein Fehler war, die Schulen so lange geschlossen zu halten. Das hat einen Gap im Bildungsstand verursacht. Darüber hinaus ist die Ausstattung von Schulen ein ganz entscheidender Aspekt in diesem Zusammenhang. Sowohl bei der „Hardware“ als auch bei der Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften müssen wir Gas geben.

Was muss, sollte sich da ändern?

Harde: Pisa hat gezeigt, dass unsere Schüler vor allen Dingen gerade in Mathematik und den Naturwissenschaften nicht flächendeckend über das erforderliche Basiswissen verfügen. In den Schulen wieder Lust auf Technik zu wecken, könnte ein Ansatz sein, das zu wandeln.

Viele junge Menschen sind ständig in digitalen Medien unterwegs. Dadurch sinkt ihre Aufmerksamkeitsspanne, und ihre Neugier nimmt ab. Welche Wege bieten sich da für die Schulen an?

Harde: Das muss man abwägen. Die sogenannten Digital Natives bringen natürlich auch neue Fertigkeiten mit, die ebenfalls in der Wirtschaft benötigt werden. Man kann es so formulieren: Das eine zu tun, ohne das andere zu lassen, muss deshalb das Interesse sein. Ich bin ein großer Befürworter von Digitalisierung und künstlicher Intelligenz, der KI. Sie bieten Chancen, die wir unbedingt nutzen müssen – in der Schule, im Berufsleben und natürlich auch in der Produktion, Administration und unseren Prozessen. Gleichzeitig aber ist es wichtig, dass die jungen Menschen wieder spielerisch etwas Praktisches erleben – nicht nur virtuell, sondern in der echten Welt, im Physikraum, beim Werken oder zu Hause in der Garage. Begeisterung in die Klassenzimmer tragen, das wäre aus meiner Sicht einer der besten Beiträge von Pädagogen, um dem wachsenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

Stichwort künstliche Intelligenz: Sehen Sie KI als Konkurrenten oder als Kollegen?

Harde: Da habe ich eine klare Position: Zukünftig werden unsere Arbeitsplätze kaum noch ohne KI auskommen. Darauf müssen und werden wir uns sowohl gesellschaftlich als auch politisch einstellen. Ich persönlich habe sehr gute Erfahrungen damit gemacht, in kleinen und nachvollziehbaren Schritten eine vernetzte Produktion entstehen zu lassen. Besonders wichtig dabei ist, die Mitarbeiter von Beginn an mitzunehmen und sie von den vielen Vorteilen der Digitalisierung zu überzeugen. Daher lautet meine klare Antwort: Die Digitalisierung spielt eine Schlüsselrolle als Treiber der Wettbewerbsfähigkeit.

Weidemann GmbH – die Fakten

1960 wurde die Firma Weidemann als Maschinenfabrik Weidemann KG gegründet. Der Maschinenbauer mit Sitz im hessischen Korbach beschäftigt heute rund 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und beliefert Kunden in über 30 Ländern weltweit. Das Unternehmen ist auf die Produktion von Arbeitsmaschinen wie Hoflader, Radlader und Teleskopradlader spezialisiert.

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