Chefgespräche
Beschleuniger der Branche
Martin John ist neuer Chef von Krahn Chemie: Das macht der Chemiedistributor für die Industrie
von Anja van Marwick-Ebner

Bottrop. Anfang September hat der Chemiedienstleister Krahn Chemie seinen Standort im Ruhrgebiet erweitert. Im Chefgespräch erklärt Geschäftsführer Martin John, was Kautschuk-Kunden dort erwartet.
Herr John, Krahn Chemie ist ein unabhängiger Chemiedistributor – was verstehen Sie darunter?
John: Aus einem Netzwerk an Produzenten stellen wir die Lösung zusammen, die zur Anwendung passt – hinsichtlich Leistung, Verfügbarkeit, Nachhaltigkeit und Gesamtkosten über den Lebenszyklus. Wir wollen alles zusammenzubringen: Märkte mit Innovationen, Verarbeiter mit Produzenten, Fragen mit Antworten. Als Familienunternehmen können wir Kunden optimal bei Wachstum begleiten, ohne Quartalsdruck, mit hoher Verlässlichkeit und schnellen Entscheidungen.
Welche Arbeiten übernehmen Sie für Ihre Kunden aus der Grundstoff- und Kautschukindustrie?
John: In erster Linie beraten wir zu Rohstoffen, die sie in ihren Produkten verwenden. Und wir stellen die Versorgung mit den benötigten Roh- und Hilfsstoffen aus unserem Angebot sicher. Darüber hinaus unterstützen wir unsere Kunden auch bei der Entwicklung nachhaltigerer Produkte.
Wie helfen Sie dabei konkret?
John: Zum Beispiel mit Dienstleistungen wie Lebenszyklusanalysen, der technischen Evaluierung von innovativen Rohstoffen und Workshops zu konkreten Projekten – und das immer mit dem Ziel einer nachhaltigeren Produktion. Dazu zählen zum Beispiel auch Recyclingprojekte im Bereich Kautschuk.
Wo kommt der Verbraucher mit Ihren Produkten und Dienstleistungen in Berührung?
John: Als Distributor stellt Krahn Chemie keine eigenen Produkte her. Es ist vielmehr so, dass wir eine Vielzahl namhafter Produzenten vertreten, deren Rohstoffe und Additive bringen wir in die verarbeitende Industrie. Der Verbraucher kommt mit unseren Produkten natürlich trotzdem täglich in Kontakt: in Reifen, Kabeln und Dichtungen, Farben, Lacken und Kunststoffen, in Klebstoffen oder Beschichtungen für Gebäude und Infrastruktur und bei vielem mehr. Wir sorgen dafür, dass die richtigen Materialien zur richtigen Zeit beim Verarbeiter sind. Damit tragen wir dazu bei, dass Innovation, Qualität und Verlässlichkeit beim Verbraucher ankommen.
Sie haben vor Kurzem Ihren Standort in Bottrop ausgebaut. Warum die Erweiterung – und welche Leistungen bieten Sie dort jetzt an?
John: Wir haben unseren Standort in Bottrop erweitert, um Theorie und Praxis, also Schulungen und Labordienstleistungen, noch stärker miteinander zu verbinden. Das gibt unseren Produzentenpartnern und Kunden in Zukunft die Möglichkeit, gemeinsam mit uns Schulungen zu veranstalten, sich weiterzubilden, Produkte direkt zu testen und vor Ort mit uns in die Entwicklung zu gehen. Außerdem wollen wir so die Entwicklung nachhaltiger Produkte an unserem Standort in Bottrop mit unseren Partnern vorantreiben.
Die Investition ist ein Bekenntnis zum Standort Deutschland. Wo sehen Sie die Stärken der Industrie?
John: Die deutsche Chemieindustrie hat drei große Stärken: erstens ihre enorme technische Kompetenz, vom Anlagenbau bis zur Formulierungs- und Anwendungstechnik. Zweitens die Nähe zu Kundenindustrien wie Automobil, Bau oder Verpackung, die kurze Innovationszyklen und eine enge Zusammenarbeit möglich macht. Und drittens eine traditionell starke Mittelstandsstruktur, die Spezialwissen, Flexibilität und langfristige Partnerschaften verbindet.
Und wo besteht Verbesserungspotenzial?
John: Bei Geschwindigkeit und Rahmenbedingungen. Wir haben technologisch alles in der Hand, aber Entscheidungs- und Genehmigungsprozesse dauern oft zu lange. Wenn wir es schaffen, Bürokratie abzubauen, Investitionen schneller umzusetzen und stärker in neue Kompetenzen zu investieren – etwa Digitalisierung und Kreislaufwirtschaft –, dann können wir unsere Stärken in Zukunft voll ausspielen.
Wie entwickeln sich derzeit die Geschäfte im Bereich Kautschuk und Grundstoffe?
John: Wir beobachten, dass der Markt rückläufig ist. Und wir spüren – wie viele Partner im Markt gerade – die Auswirkungen davon. Wir sind der Kautschukindustrie seit vielen Jahren verbunden und versuchen über innovative Projekte Wege zu finden, um unsere Partner zu unterstützen, langfristig zukunftsfähig zu bleiben.
Ein Unsicherheitsfaktor in vielen Branchen sind die US-Zölle. Berührt das jetzt zwischen den USA und der EU vereinbarte Handelsabkommen Ihre Geschäfte?
John: Unser Geschäft hängt nicht primär an transatlantischen Zöllen. Was wir dagegen deutlich spüren, sind die indirekten Effekte: Wenn Handelskonflikte Unsicherheit schaffen, bremst das Investitionen und schwächt die weltweite Nachfrage. Das wirkt sich auch auf die Chemie- und Kautschukindustrie aus. Für uns als Distributor heißt das, dass wir mit mehr Schwankungen in den Märkten umgehen müssen. Entsprechend stellen wir unsere Geschäfte auf.
Abgesehen vom Zollkonflikt: Welchen Herausforderungen muss sich die Branche Ihrer Meinung nach in Zukunft stellen?
John: Seit 2020 erleben wir Rahmenbedingungen, die von zunehmender Unbeständigkeit geprägt sind – ob durch neue Regulierungswellen, geopolitische Spannungen oder die aktuelle Rezession. Das hat dazu geführt, dass viele Unternehmen Investitionen verschieben oder sehr selektiv tätigen. Und während Kosten und regulatorische Anforderungen steigen, bleiben qualifizierte Fachkräfte knapp. Das alles macht es schwieriger, Innovationen voranzutreiben. Ich bin aber der Meinung: Wer hohe Materialkompetenz besitzt, rechtliche und regulatorische Anforderungen nicht nur einhält, sondern proaktiv und mit hoher Datenqualität umsetzt, macht aus verlässlichen Regulierungen keinen Bremsklotz, sondern einen Wettbewerbsvorteil. Als Distributor sind wir Übersetzer, Beschleuniger und Risikomanager zugleich. Genau dort liegt die Chance in den nächsten Jahren.
Wie kann die Politik dabei helfen?
John: Durch klare, langfristige Rahmensetzung und eine praktikable Umsetzung. Unternehmen können mit Regeln umgehen. Entscheidend ist, dass sie konsistent, europäisch abgestimmt und planbar sind. Ebenso wichtig ist die Umsetzbarkeit im Alltag: Digitale Nachweissysteme, weniger Bürokratie und realistische Übergangsfristen schaffen den Freiraum, in Innovation und Nachhaltigkeit zu investieren.
Krahn Chemie – die Fakten
Das Unternehmen Krahn Chemie mit Sitz in Hamburg gehört zur 1909 gegründeten Otto Krahn Gruppe. Die 280 Beschäftigten arbeiten im Vertrieb, Marketing und Verkauf von Spezialchemikalien und Wärmeträgerflüssigkeiten. Den 5.000 Kunden bietet das Unternehmen anwendungstechnische Beratung, Nachhaltigkeitsservices und Laborleistungen an.