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Chefgespräche

„Leistung muss sich wieder lohnen“

Die Krise in Deutschland ist da – doch kaum jemand merkt’s. Westland-Chef Georg zur Nedden warnt vor Wohlstandsverlust

von Isabel Link

· Lesezeit 5 Minuten.
Wer mehr leistet, soll auch mehr verdienen – und behalten dürfen, findet Westland-Chef Georg zur Nedden. Foto: KAUTSCHUK/Michael Wallmüller

Melle. Deutschlands Wohlstand ruht auf der Industrie – doch dieser Pfeiler gerät ins Wanken. Die Wirtschaft steckt in der Rezession und viele Unternehmen stehen unter Druck. Ist der Industriestandort Deutschland noch zu retten? Ja, sagt Georg zur Nedden, Geschäftsführer der Westland Gummiwerke. Aber dafür braucht es harte Einschnitte.

Herr zur Nedden, gefühlt kommt die Krise bei den Menschen nicht an. Befragungen zeigen: Kaum jemand fürchtet um seinen Job. Woran liegt das?

Zur Nedden: Jedenfalls nicht an mangelnden Informationen. In den Zeitungen kann man täglich Analysen von Ökonomen lesen, denen zufolge die Krise teils hausgemacht und teils durch äußere Faktoren verstärkt ist. Auch dass Reformen nötig sind, gilt als unstrittig. Doch diese umzusetzen, das ist mit Zumutungen verbunden. Das wird den Menschen meist erst dann bewusst, wenn sie selbst betroffen sind. 

Verwalten wir Wohlstand – statt ihn zu schaffen?

Zur Nedden: Genau hier liegt der Knackpunkt. In den vergangenen Jahren entstanden Jobs vor allem im Verwaltungsapparat, einem Bereich, der sich um seine ökonomische Zukunft kaum sorgt. Uns fehlt das Verständnis, dass Wachstum erwirtschaftet werden muss. Tatsächlich hatte unsere Volkswirtschaft in den vergangenen Jahren ein Pseudo-Wachstum, wie das Statistische Bundesamt ja kürzlich einräumen musste. Unterm Strich waren es also Rezessionsjahre, schöngerechnet durch staatliche Leistungen. 

Sie sagen, wir haben kein Verteilungs-, sondern ein Leistungsproblem. Was meinen Sie damit genau?

Zur Nedden: Richtig. Leistung bedeutet Wertschöpfung, also einen Mehrwert, der über Steuern und Sozialabgaben geteilt wird und zu dem auch die Betriebe beitragen. Genau hier ist der Staat jedoch übergriffig geworden: Für viele Beschäftigte lohnt sich Mehrarbeit kaum, weil der Zuverdienst wegbesteuert wird. Zugleich verschärft der Fachkräftemangel das Problem. Acht Millionen Babyboomer scheiden bald aus dem Arbeitsmarkt aus, während neue Jobs vor allem außerhalb der Industrie entstehen – etwa in der Pflege. Das ist volkswirtschaftlich etwas anderes als die Wertschöpfung eines Facharbeiters, der ein komplexes Produkt herstellt.

Alles korrekt? Georg zur Nedden und Mitarbeiter Joaquin Guerra-Costa kontrollieren ein Formteil. Foto: KAUTSCHUK/Michael Wallmüller

Sie sprechen also von einem Mangel an Fachkräften – nicht an Arbeitskräften?

Zur Nedden: Ja, uns fehlen nicht Hände, sondern Köpfe. Wir lassen zu, dass viele Menschen in Deutschland ohne Abschluss oder Ausbildung bleiben. Wenn wir aber nicht genügend leistungsbereites und gut ausgebildetes Personal finden, verlagern Firmen ihre Arbeitsplätze dorthin, wo sie noch auf solche Fachkräfte treffen. Das hat nichts mit den Kosten zu tun, sondern mit fehlender Qualifikation und Motivation.

Wie kommen wir wieder in den Wachstumsmodus?

Zur Nedden: Wir müssen an mehreren Punkten ansetzen. Leistung muss sich wieder lohnen, für alle, die mehr arbeiten, investieren oder Risiken tragen. Wir brauchen wieder mehr Netto vom Brutto. Steuern, Sozialabgaben, steigende Bemessungsgrenzen – der Staat greift ständig weiter zu, dabei sollte er seine Ausgabenquote spürbar senken. Ohne Einschnitte, etwa bei Pflege-, Kranken- oder Rentenversicherung, wird das nicht gehen. Sonst diktieren bald leere Kassen, was politisch noch umsetzbar ist. 

Im Bundestag wird die „Aktivrente“ diskutiert: Wer länger arbeitet, soll bis zu 2.000 Euro steuerfrei hinzuverdienen dürfen. Ist das ein Weg?

Zur Nedden: Vielleicht ein Schritt, aber keine Lösung. Wichtiger wäre, die abschlagsfreie Rente mit 63 abzuschaffen. Ich gönne jedem den Ruhestand, besonders nach jahrzehntelanger, harter Arbeit. Doch in der Breite funktioniert dieses Modell nicht. Ein Dachdecker, der mit 60 nicht mehr aufs Dach kann, ist ein Einzelfall, keine Regel. Im öffentlichen Dienst – etwa bei Lehrkräften, die für unsere Zukunft enorm wichtig sind – sehe ich hohe Fehlzeiten und oft mangelnde Motivation. Da hilft die Rente mit 63 nicht. Wir müssen neu über Lebensarbeitszeit sprechen und über leistungsgerechte Bezahlung im Alter.

Bei Westland werden Formteile und Gummierungen für Druckwalzen produziert. Fotos: KAUTSCHUK/Michael Wallmüller

Heißt das, wir müssen Leistung im Alter anders bewerten?

Zur Nedden: Natürlich kann ein 70-Jähriger nicht mehr dieselbe Leistung bringen wie ein 30-Jähriger. Aber warum sollte er dann das gleiche Gehalt bekommen wie in seiner besten Phase? Im Sport ist das selbstverständlich: höchste Leistung, höchster Verdienst. In unserem System dagegen gilt der Status quo. Wer einmal ein bestimmtes Gehalt erreicht hat, soll es bis zum Schluss behalten. Versuchen Sie mal, jemandem zu erklären, dass er weniger bekommt, wenn er weniger leistet – unmöglich. Aber so funktioniert Wirtschaft nicht.   

Haben Politik und Gesellschaft das Ausmaß der Krise überhaupt erkannt?

Zur Nedden: Viele merken zwar, dass etwas schiefläuft, weil der Staat an vielen Stellen nicht mehr liefert – bei Bahn, Verwaltung oder Sicherheit. Aber das große Ganze, die strukturelle Schieflage, wird kaum gesehen. Wir steuern sehenden Auges auf eine Wand zu, weil die Wertschöpfung fehlt und damit das Wachstum.

 

Westland Gummiwerke – die Fakten

Westland entwickelt seit mehr als 100 Jahren funktionelle Gummimischungen und ist auf Gummierungen für Druck- und Industriewalzen sowie Elastomer-Formteile spezialisiert. Die Westland-Gruppe hat 750 Mitarbeiter und zwölf Produktionsstandorte in Europa, Asien und den USA. Ihr Hauptsitz ist im niedersächsischen Melle.

 

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