Neues aus der Forschung

Am Anfang steht der Abfall

Müllcode geknackt: Die Initiative Circular Valley unterstützt Unternehmen, die aus schwer recycelbaren Plastikresten wertvolles Öl gewinnen

von Matilda Jordanova-Duda

· Lesezeit 5 Minuten.
Wertvoller Rohstoff: Aus einer Tonne Kunststoffabfall entstehen bis zu 850  Kilogramm Öl. Daraus können später sogar Produkte wie Blutbeutel hergestellt werden. Foto: Carboliq

Remscheid. Weiße, blaue, rote und schwarze Plastikfetzen liegen in der Produktionshalle von Carboliq. Die bunten Haufen mit strengem Müllgeruch sind geschredderte Lebensmittelverpackungen und andere Kunststoffe aus Gewerbe und Haushalt, die auf Wiederverwertung warten. 

Lebensmittelverpackungen bestehen oft aus mehreren Kunststoffschichten mit unterschiedlichen Eigenschaften. Solche Verbundmaterialien lassen sich herkömmlich nicht recyceln, ebenso wenig wie die meisten gemischten und verschmutzten Plastikteile aus der Restmülltonne. Sie werden verbrannt, um Energie zu gewinnen. Schlimmstenfalls landen sie auf Deponien oder sogar in der Natur. Carboliq gewinnt daraus jedoch tonnenweise Rohstoffe. In der großen Pilotanlage in Ennigerloh zerlegt das Jungunternehmen die Kunststoffe chemisch in ihre Bausteine. Das gewonnene Öl ersetzt fossiles Erdöl. Das Remscheider Unternehmen gehörte zu den ersten Start-ups der Wuppertaler Initia­tive Circular Valley, wurde professionell promotet und fand Kontakte zu potenziellen Kunden und Investoren. Der Verpackungshersteller Südpack hat sich mittlerweile daran beteiligt. 

Wertvoller Rohstoff: Recycling-Öl

Mechanisches Kunststoff-Recycling erfordert sortenreine Abfälle und stößt so an seine Grenzen. Das Jungunternehmen hat die Technologie der Direktverölung entwickelt, eine Form des chemischen Recyclings, die mit Temperaturen unter 400 Grad und ohne Druck auskommt. Die Abfälle werden sortiert, zerkleinert, entwässert und in einen Reaktor gegeben. „Die Prozesstemperatur entsteht allein durch Reibung“, erläutert Umweltingenieur Sven Luca Graebenteich. Ein Katalysator hilft, die langen Polymerketten zu cracken. „Sind die Ketten kurz genug, verdampfen sie.“ Der Dampf wird kondensiert und aufgefangen.

Alles im Blick: Umweltingenieur Sven Luca Graebenteich optimiert das Recyclingverfahren anhand der Betriebsdaten. Foto: Peter Wirtz

Alles im Blick: Umweltingenieur Sven Luca Graebenteich optimiert das Recyclingverfahren anhand der Betriebsdaten. Foto: Peter Wirtz

Aus einer Tonne Kunststoffabfall entstehen idealerweise bis zu 850 Kilogramm Öl, so Graebenteich. Carboliq verkauft es an Raffinerien und Chemieunternehmen, die daraus Kunststoffe oder E-Fuels herstellen. Das zertifizierte Öl ist so hochwertig, dass es sich sogar für Lebensmittelverpackungen oder Blutbeutel eignet. Carboliq kann zudem in einem Zwischenschritt des Verfahrens den Rohstoff Caprolactam gewinnen, eine Vorstufe des Kunststoffs Polyamid, der unter anderem in Produkten der Textil-, Automobil- oder Medizinindustrie eingesetzt wird. Jeden Monat verlassen bis zu drei Öl-Tankwagen das Werk. Nun plant das Unternehmen eine Industrieanlage, die bis zu 10.000 Tonnen Öl jährlich produziert. Allerdings erschwert überbordende Bürokratie die Standortsuche und die Beschaffung von Fördergeldern. 

Materialströme clever nutzen

„Kreislaufwirtschaft muss gleichzeitig lokal und international gedacht werden“, glaubt Natalie Mekelburger, Firmenchefin von Coroplast und Gründungsmitglied von Circular Valley. Das Wuppertaler Familienunternehmen mit rund 7.100 Mitarbeitern stellt technische Klebebänder, Kabel und Leitungen her, die in jedem zweiten Auto weltweit verbaut sind. Coroplast sucht nach Möglichkeiten, Stoffe wiederzuverwerten, und macht beispielsweise Rucksäcke und Laptoptaschen aus Ausschussmaterial (Projekt CoroUpcycling). 

Ein zweites Leben für Plastik: Das Start-up Carboliq verwandelt Müllberge in Rohstoffe. Foto: Fotografie Witte Wattendorff

Ein zweites Leben für Plastik: Das Start-up Carboliq verwandelt Müllberge in Rohstoffe. Foto: Fotografie Witte Wattendorff

Hersteller technischer Produkte haben hohe Haftungsrisiken, benennt Mekelburger eine wesentliche Hürde für mehr Zirkularität. „Selbst wenn ich eigene Rezyklate verwende, was der einfachste Fall ist, muss ich höllisch aufpassen“, sagte sie auf dem letzten Circular-Valley-Forum in Wuppertal. Einerseits bestehen hohe Sicherheitsanforderungen, andererseits gibt es keine verbindlichen Rezyklat-Quoten und nicht einmal eine klare Definition, was Abfall ist und was nicht.

Da die Klebebänder und Kabelbäume aus Kleb- und Kunststoffen, Textil und Metall bestehen, ist das Recycling herausfordernd. Coroplast hat deswegen ein eigenes chemisches Verfahren entwickelt. „Dabei entsteht Benzoesäure als Nebenprodukt“, erzählte Markus Söhngen, Mitglied der Geschäftsführung, auf dem Forum: „Um solche Stoffe zu vermarkten, braucht es Kooperationen.“ Benzoesäure ist eine chemische Verbindung, die zum Beispiel als Konservierungsstoff in Lebensmitteln und Kosmetika zugelassen ist. Sie kommt auch natürlich in Früchten, Milchprodukten und in Honig vor.

Europas Chemie bündelt Kräfte 

„Und was liegt näher, als mit den Nachbarn zu kooperieren?“, so Andreas Mucke, Geschäftsführer der Circular Valley GmbH. Vor einem Jahr unterzeichneten Flandern und NRW eine Vereinbarung. Beide sind hoch industrialisierte Regionen, in denen zahlreiche Chemieproduzenten angesiedelt sind. Sie tauschen sich nun in den Arbeitsgruppen des Netzwerks mit Wissenschaftlern, Start-up-Gründern, Politikern und Logistikern aus. Vertreten sind beispielsweise Bayer, Henkel, Evonik, OQEMA, Essencia, BASF, Ineos, Indaver, Allnex, Covestro und Exxon Mobil. 
Der Chemie fällt in der Kreislaufwirtschaft eine wichtige Rolle zu. Sie stand bisher am Anfang der Wertschöpfungskette. Künftig soll sie den Kreis schließen und ausgediente Konsumgüter in neue Werkstoffe umwandeln. „Die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Chemieindustrie wird durch niedrigpreisige Märkte wie China herausgefordert“, sagt Ann Dierckx vom belgischen Dachverband für Chemie und Life Sciences Essencia. Das Gegenmittel: „Regional besser verknüpfte Lieferketten, in denen Rohstoffe keine weiten Strecken zurücklegen.“

Circular Valley – die Fakten

Die Initiative Circular Valley entstand 2021 mit dem Ziel, die Region an der Wupper zum Weltzentrum der Kreislaufwirtschaft zu machen. Es ist ein Zusammenschluss vieler Betriebe verschiedener Branchen und Größen, von Wissenschaftseinrichtungen, Politik und Zivilgesellschaft. Über 120 Start-ups aus aller Welt kamen seit 2021 nach Wuppertal, um im Gründungszentrum Accelerator an Businessplänen zu feilen und Partner zu suchen. Flandern hat sich der Initiative vor einem Jahr angeschlossen, die Niederlande und Wales zeigen Interesse.

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