Unternehmensreportagen

Ein Sandwich aus Glas und Kunststoff

Scheiben, die sehr viel aushalten: Eine unsichtbare Folie von Kuraray macht Fassaden, Windschutzscheiben und Skywalks sicher und widerstandsfähig

von Matilda Jordanova-Duda

· Lesezeit 5 Minuten.
Beliebte Touristenattraktion: Der Skywalk „Pasarela Diamante“ in Ecuador (Bild links) und die Reichstagskuppel von außen während der Dämmerung. Foto links: Fairis– stock-adobe.com, Foto rechts: golovianko – stock-adobe.com

Troisdorf. Eine dicke Metallkugel kracht aus zwölf Meter Höhe auf eine Glasplatte. Jetzt müssten da doch die Scherben fliegen … Denkste! Die Glasplatte übersteht den Test zwar beschädigt, aber doch in einem Stück. Hier, im Prüf- und Entwicklungslabor von Kuraray in Troisdorf, scheppert es oft: Mit Kugeln oder Pendeln wird auf Glas eingedroschen, Scheiben werden mit Salzwasser besprüht oder mit konzentriertem Sonnenlicht bestrahlt. 

Was so malträtiert wird, ist Verbundglas: für Windschutzscheiben, für Glasüberdachungen, bodentiefe Fenster, Balkonbrüstungen oder Bankschalter. Es muss standhalten. Und dank seiner Sandwich-Struktur tut es das auch!

Eine Kunststofffolie aus Polyvinylbutyral (PVB) zwischen zwei Glasschichten verklebt diese miteinander und verleiht dem Verbund Stabilität. Wenn dann etwa Hagelkörner oder Steine die äußere Glasschicht durchschlagen, bleiben die Splitter an der Folie haften. „Schutz ist die Hauptaufgabe jedes Verbundsicherheitsglases“, erklärt Christoph Troska, der bei der Advanced Interlayer Solutions Division von Kuraray Europe für die globale Entwicklung von neuen Märkten verantwortlich ist. Die Tochter des japanischen Chemiekonzerns produziert PVB- sowie Ionoplast-Folien, bekannt unter den Markennamen Trosifol und SentryGlas, für Kunden aus der Automobil- und Baubranche weltweit. „Bei Architekturanwendungen sind wir Weltmarktführer“, sagt Troska. Und betont: „Wir sind im wahrsten Sinne ein Hidden Champion: Unsere Produkte sieht man nicht.“

Der Trick dahinter: PVB und Glas haben bei Lichteinstrahlung denselben Brechungsindex. Also bleibt auch ein Verbundglas klar und durchsichtig. Zur Kunst dabei gehört aber auch, dass das fertige „Sandwich“ keine Blasen und Verunreinigungen enthält. Dafür kommt zuerst auf die untere Glasschicht die Folie, darauf wieder Glas. Dieser lose Verbund wird in der Regel in einem zweistufigen Verfahren zu einer Einheit verschmolzen: Im ersten Schritt wird der Großteil der Luft zwischen den Schichten herausgestrichen. Im zweiten Schritt werden verbliebene Luftblasen herausgedrückt. Einige spezielle Gläser bestehen sogar aus noch mehr Schichten. Die Produktion geschieht normalerweise bei den Kunden von Kuraray, den Glasherstellern. Im Labor in Troisdorf wird der Prozess in kleinerem Maßstab nachgestellt.

Schwebende Architektur

Die unsichtbaren Folien haben eine Reihe großflächiger Glaskonstruktionen und architektonischer Wunderwerke möglich gemacht. Gläserne Skywalks und faszinierende Fassadenformen verdanken ihnen ihre Stabilität. Auch die Reichstagskuppel in Berlin entstand mithilfe der Troisdorfer: „Dafür haben wir eine einzige Schicht gebraucht“, erinnert sich Holger Stenzel, der hier bis vor Kurzem Standortleiter war.

Warten mit Aussicht: Die Kuppel des Jewel Changi Airport (Bild links) in Singapur. Wo kein Staubkorn stört: Folienproduktion unter Reinraumbedingungen bei Kuraray in Troisdorf. Foto links: Fairis – stock-adobe.com, Foto rechts: Kuraray/Rainer Hardtke

Schon in der 1940er Jahren entwickelte das Unternehmen Dynamit Nobel die Sicherheitsfolie mit dem Namen Trosifol – das steht für: Troisdorfer Sicherheitsfolie. Seit den 1970er Jahren ist Verbundglas für Windschutzscheiben in Deutschland Pflicht, ein wichtiger Schritt für mehr Sicherheit im Straßenverkehr. 2004 übernahm Kuraray das Werk und machte es zu seinem größten europäischen Produktionsstandort. Hier wird nach wie vor Trosifol gefertigt, SentryGlas stellt Kuraray in Tschechien her.

Unsichtbare Vielfalt

Stenzel führt durch einen gläsernen Besuchergang entlang einer Produktionslinie für den Autobereich. Zutritt verboten: Produziert wird in einem Reinraum. Dem Grundstoff PVB werden je nach Anwendung verschiedene Additive beigemischt. In der Anlage wird das Pulver geschmolzen, durch feine Siebe gefiltert und zur Folie extrudiert. Diese wird in Bahnen geschnitten. Die Randabschnitte werden direkt zerkleinert und wieder in die Produktion zurückgeführt. Strahlen und Kameras suchen die Bahnen nach Fehlern ab. Auf Rollen gewickelt und verpackt, werden die Folien dann bei Kühlschranktemperatur gelagert und im Kühlwagen zum Kunden gebracht. Denn: Die Kälte verhindert das Zusammenkleben.

Wo entwickelt wird: Christoph Troska (links) und Holger Stenzel im Labor, hier wird die Produktion beim Kunden im Kleinen nachgestellt. Spektakuläre Konstruktion: Die Reichstagskuppel von innen. Foto links: KAUTSCHUK/Matilda Jordanova-Duda, Foto rechts: Blickfang - stock.adobe.com

Troisdorf ist auch der weltweite Entwicklungsstandort für Kuraray-Folien. „Wir wollen auch mit den Kunden unserer Kunden sprechen: den Architekten und Designern. Viele verstehen nicht, was man mit unseren Folien alles machen kann“, sagt Troska. Je nach Rezeptur und Verarbeitung bringen die Kunststoffeinlagen nämlich auch Farbe oder strukturelle Eigenschaften ins Glas, sie dämmen Schall, schützen vor UV-Licht oder lassen gezielt ein energiereiches Lichtspektrum durch. Deshalb produziert man hier beispielsweise auch Trosifol für Museen oder Gewächshäuser. 

Zuletzt hat das Unternehmen einen Beitrag zum Vogelschutz entwickelt: Verbundgläser mit einer feinen Punktstruktur. Diese Punkte sind für den Menschen fast unsichtbar – verhindern aber, dass Vögel gegen die Fassade fliegen.

Und im vergangenen Jahr hat Kuraray Trosifol R3 mit unterschiedlich hohen Recyclinganteilen auf den Markt gebracht. Dafür verwendet der Hersteller Folienreste, die bei seinen Kunden in der Glasproduktion anfallen. Das Recycling von solchen Verbundmaterialien ist sehr komplex, aber Kuraray legt großen Wert auf Nachhaltigkeit. Die PVB-Sparte des Konzerns will ihre CO2-Emissionen bis 2030 um drei Viertel reduzieren. Der Standort Troisdorf hat bereits komplett auf Ökostrom umgestellt, investiert derzeit in Wärmepumpentechnologie und setzt auf Fernwartung per VR-Brille.

 

Kuraray Europe – die Fakten

Kuraray Europe mit Sitz in Hattersheim am Main ist eine Tochter des japanischen Chemiekonzerns Kuraray, der weltweit über 10.000 Mitarbeitende beschäftigt und jährlich etwa 4,8 Milliarden Euro umsetzt. Im Werk in Troisdorf arbeiten rund 180 Beschäftigte im Schichtbetrieb – rund um die Uhr, sieben Tage die Woche. Sie produzieren mehrere 10.000 Tonnen verschiedener Folien im Jahr. Weitere 200 Mitarbeitende sind in Abteilungen wie Forschung und Entwicklung, Qualitätssicherung, IT, Marketing und Kundenservice tätig. Zum Troisdorfer Team gehören auch 13 Azubis.

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