Chefgespräche

In der Krise an einem Strang ziehen

Zwei Goodyear-Geschäftsführer über die Firmentradition und darüber, wie man gemeinsam durch die Mehrfachkrisen kommt.

von Werner Fricke

· Lesezeit 5 Minuten.
Regelmäßiger Austausch: Geschäftsführer André Weisz (links) und Christian Niebling (rechts) im Gespräch mit dem Hanauer Werkleiter Thomas Rihoux. Foto: Gerd Scheffler

André Weisz und Christian Niebling, zwei der drei Geschäftsführer, sind gemeinsam zum Chef-Gespräch bei Goodyear in Hanau gekommen. Weiße Hemden, dunkle Anzüge, keine Krawatten – die beiden Chefs wirken locker und entspannt. Sie sind per Du und scheinen sich blendend zu verstehen. Dass sie als Team hier sind, sendet eine klare Botschaft: Um die Herausforderungen des Jahres 2023 zu meistern, braucht es vereinte Kräfte.

Die Marken Goodyear und Dunlop kennt wohl jeder hier in Hanau. Ihr Werk liegt sogar an der Dunlop-Straße. Es ist vermutlich nicht übertrieben zu sagen, diese Stadt atmet Kautschuk. Wie schafft man eine so hohe Identifikation zwischen Region und Unternehmen?

André Weisz: Das ist ein langer Prozess, der sich über Generationen entwickelt hat. Bei uns in Hanau ist 1893 das erste Dunlop-Reifenwerk auf dem europäischen Festland entstanden. Produziert wurden in diesem Werk anfangs Fahrradreifen.

Christian Niebling: Ja, das ist lange her. Das war damals übrigens Frauensache. Die ersten Fahrradreifen haben 28 Frauen gefertigt.

Weisz: Stimmt, 1902 wurden dann erstmals Autoreifen gebaut, gut 20 Jahre später kamen Lkw-Reifen dazu. Heute stehen wir mit unseren Marken für weit über 100 Jahre Innovation in Produkt-, Reifen- und Servicetechnologie und sind mit der Stadt Hanau und der Region eng verbunden. Diese enge Verbundenheit zwischen unseren Werken und den Regionen gibt es übrigens auch an den anderen vier deutschen Standorten.

Beim Blick auf die Wirtschaftslage scheinen wir derzeit vor schwierigen Zeiten zu stehen. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für das kommende Jahr?

Weisz: Oh, da fällt mir gleich eine ganze Reihe ein. Rohstoffmangel, Energiekosten, Inflation, Digitalisierung. Die Unsicherheiten über die weitere wirtschaftliche Entwicklung sind aktuell größer denn je. Fest steht ganz sicher, 2023 wird ein sehr schwieriges Jahr. Für Goodyear, aber auch für die Industrie an sich.

Niebling: Ich würde die Liste noch um Stichworte wie Qualifizierung, fehlende Fachkräfte und Nachhaltigkeit ergänzen. Ganz zu schweigen davon, dass auch Corona unser Unternehmen und unsere Beschäftigten sehr viel Kraft gekostet hat. Wir stehen vor einigen Hürden. Sie zu überwinden, wird Kreativität erfordern – aber die Weichen dafür sind gestellt.

Niebling: „Wir stehen vor einigen Hürden. Sie zu überwinden, wird Kreativität erfordern – aber die Weichen dafür sind gestellt." Foto: Gerd Scheffler

Niebling: „Wir stehen vor einigen Hürden. Sie zu überwinden, wird Kreativität erfordern – aber die Weichen dafür sind gestellt." Foto: Gerd Scheffler

Weisz: Erschwerend kommt hinzu, dass viele dieser Herausforderungen aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten sind.

Wie meinen Sie das?

Weisz: Nehmen wir die steigenden Energiekosten und die Inflation. Unsere Reifen sind ein Premiumprodukt. Wir spielen damit in der Champions League und haben es geschafft, eine hohe Kundenloyalität zu erreichen. Doch für uns wird in der aktuellen Phase der Wettbewerb mit den günstigeren Marken anderer Anbieter aus dem Ausland immer härter, weil sich viele Käufer genau überlegen, wofür sie ihr Geld ausgeben. Für uns heißt das, höhere Energiekosten können wir nicht so einfach über den Preis weitergeben. Die hohe Inflation beeinflusst also unser Geschäft und erschwert genaue Planungen.

Niebling: Der andere Blickwinkel ist, dass unsere Mitarbeiter die hohe Inflation täglich im Supermarkt zu spüren bekommen und mit Sorge auf die nächsten Gas- und Stromrechnungen blicken. Unter den hohen Preisen leiden also Unternehmen und Mitarbeiter gleichermaßen. Ich glaube, man kann sagen: Nie war die Unsicherheit so groß wie derzeit.

Weisz: „Fest steht ganz sicher, 2023 wird ein sehr schwieriges Jahr. Für Goodyear, aber auch für die Industrie an sich.“ Foto: Gerd Scheffler

Weisz: „Fest steht ganz sicher, 2023 wird ein sehr schwieriges Jahr. Für Goodyear, aber auch für die Industrie an sich.“ Foto: Gerd Scheffler

Woran machen Sie das fest?

Weisz: Ich stehe im engen Austausch mit dem wdk, unserem Kautschuk-Wirtschaftsverband. Die gesamte Branche schlägt Alarm: Energie, Rohstoffe, Logistik – alles hat sich dramatisch erhöht, in den letzten zwei, drei Jahren um bis zu 60 Prozent. Das stellt alle Unternehmen vor große Herausforderungen.

Wie können Sie reagieren? Der Volksmund sagt: Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch. Was macht Ihnen aktuell Hoffnung?

Niebling: In dieser Lage ist es wichtig, an einem Strang zu ziehen – Geschäftsleitung und Belegschaft. Unser Verhältnis zum Betriebsrat ist hervorragend und von gegenseitigem Vertrauen gestärkt. Die guten Beispiele der vergangenen Jahre machen mir Hoffnung.

Nennen Sie uns einige.

Niebling: Nehmen wir unsere Standorte in Fulda und Hanau. Dort ist eine neue Kultur entstanden, weil wir auch die Mitarbeiter in der Fertigung viel stärker in Veränderungen einbezogen haben. Wir haben sie in Workshops um ihre Meinung gefragt. Es waren dann viele kleine Einzelvorschläge, die wir sofort angegangen sind. Dazu gehörten zum Beispiel Ideen zur Produktivitätsverbesserung, aber auch zur Aufwertung der Sozialräume. Auf neuen Infotafeln kann jeder sehen, wie der Krankenstand aktuell ist oder ob die Stückzahlen in der Fertigung den Zielvorgaben entsprechen. Morgens finden Meetings auch in allen Fertigungsbereichen statt. Jeder Standort hat heute Kommunikationsverantwortliche, die so das Gespräch mit den Mitarbeitern suchen. Wirtschaftliche Kennziffern werden in regelmäßigen Meetings ebenfalls erklärt und sind nun transparent. Das sorgt für Verständnis und schafft Vertrauen.

Standortbesichtigung: Die Geschäftsführer an einer der Goodyear-Produktionsstraßen. Foto: Gerd Scheffler

Standortbesichtigung: Die Geschäftsführer an einer der Goodyear-Produktionsstraßen. Foto: Gerd Scheffler

Profitieren Sie von dieser neuen Kultur auch am Arbeitsmarkt? Verständnis und Vertrauen allein lösen das Fachkräfteproblem ja vermutlich nicht.

Weisz: Neben den klassischen Entwicklungs- und Karriereperspektiven gibt es ein Bündel von weiteren Faktoren, das uns für Neueinsteiger interessant macht, von Umwelt- und Klimaschutz bis hin zu ethischen Werten. Wir managen aktiv unsere CO2-Bilanz, wir setzen auf erneuerbare Energien und auf innovative und nachhaltige Materialien in der Produktion. Das macht uns für Schüler und Studierende interessant. Denn heute werden wir bei Einstellungsgesprächen immer wieder gefragt, was wir für die Umwelt tun. Nachhaltigkeit ist ein immer wichtigerer Faktor bei der Berufswahl. Das spüren wir übrigens an all unseren Standorten in Deutschland. Hinzu kommt: Für unsere Mitarbeiter ist Goodyear mehr als nur Job, es ist ein Stück Familie. Viele arbeiten Jahrzehnte bei uns, haben Eltern und Geschwister in den Werken. Und schon die Großeltern haben bei uns gearbeitet. Einmal Gummi, immer Gummi – das ist mehr als nur eine Floskel. Deshalb bin ich sicher, wir werden auch diese Krise gemeinsam meistern.

Goodyear – die Fakten

Goodyear ist einer der größten Reifenproduzenten der Welt. Das Unternehmen beschäftigt etwa 72.000 Menschen und fertigt an 57 Standorten in 23 Ländern. In Deutschland hat Goodyear 5.500 Beschäftigte an den Standorten Hanau, Fulda, Wittlich, Fürstenwalde und Riesa.

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