Standort Deutschland

Zu viele tun – viel zu wenig

Offiziell sind sie nicht in einem Job und auch nicht in Ausbildung oder Studium: So leben Hunderttausende junge Leute hierzulande. Woran liegt das? Und wie ließe sich das vielleicht ändern?

von Anja van Marwick-Ebner

· Lesezeit 3 Minuten.
Superdigital – und trotzdem recht planlos: Das gilt leider für viele Jugendliche. Foto: xhighwaystarz / adobestock.com

Diese Zahl hat es in sich: Rund 630.000 Jugendliche oder junge Erwachsene arbeiten nicht und sind auch nicht in Schule, Ausbildung oder Studium aktiv. Offiziell tun sie also: nichts. Gleichzeitig suchen zahlreiche Unternehmen händeringend Auszubildende und junge Fachkräfte. Wie kann das sein?

„Tatsächlich gibt es eine wachsende Gruppe von Jugendlichen, die mangels Orientierung in kompletter Inaktivität verharrt.“ So sagt es Christina Ramb, Vorsitzende des Verwaltungsrats der Bundesagentur für Arbeit (BA) und Mitglied der Hauptgeschäftsführung beim Arbeitgeberdachverband BDA. „Offensichtlich gibt es einen immer größeren Anteil von jungen Menschen, die schon den Weg der Berufswahl nicht konsequent gehen – und so für längere Zeiträume nicht ins Arbeitsleben finden.“

Im Fachjargon heißen solche jungen Leute NEETs. Es gab sie zwar irgendwie immer schon. Aber angesichts des Fachkräftemangels gewinnt das Thema ganz neue Relevanz.

Jahr um Jahr verlassen hierzulande knapp 50.000 Jugendliche die Schule ohne jeden Abschluss. Viele andere brechen Ausbildung oder Studium bald wieder ab. Dazu kam die Pandemie: „Corona hat sehr vielen jungen Leuten über einen langen Zeitraum die Chance genommen, sich beruflich zu orientieren“, sagt Bildungsforscher Clemens Wieland von der Bertelsmann-Stiftung. Dieser Effekt sei nach wie vor stark zu spüren. Eine eindeutige Erklärung für das NEET-Phänomen insgesamt habe die Wissenschaft bisher allerdings nicht zu bieten.

„Es gibt eine wachsende Gruppe von Jugendlichen, die in kompletter Inaktivität verharrt“
- Christina Ramb, Mitglied der BDA-Hauptgeschäftsführung

An Hilfsangeboten mangelt es nicht. Allein die Arbeitsagentur listet zehn Programme auf, die jungen Menschen den Weg in einen qualifizierten Job erleichtern sollen. Aber diese Angebote erreichen die Zielgruppe oft nicht vollständig. „Wir müssen die Jugendlichen an der Schwelle zwischen Schulzeit und Berufsleben früher und besser betreuen und motivieren“, sagt BDA-Expertin Ramb. „Dafür brauchen wir allerdings mehr Informationen über sie.“

Helfen könnte unter anderem mehr Datenaustausch. Vor allem bezüglich derjenigen Schulabgänger, die ein hohes Risiko haben, keinen Ausbildungsplatz zu finden: „Deren Kontaktdaten sollten zwischen den Schulbehörden der Länder und der Bundesagentur für Arbeit ausgetauscht werden“, so Ramb. Jugendliche könnten dann besser an das Vermittlungs- und Serviceangebot herangeführt werden. Allerdings: Die Durchführungsregeln rund um den hierzulande strikten Datenschutz sind laut BDA in den meisten Bundesländern nicht geschaffen worden.

Dabei könnten gut informierte Berufsberater passende Pakete schnüren. Das Weiterbildungsgesetz ermöglicht demnächst voraussichtlich erweiterte Berufsorientierungspraktika. Und niederschwellige Angebote wie Teil- oder Einstiegsqualifizierungen könnten auch ältere NEETs aktivieren. Ramb mahnt: „Der Fachkräftemangel wächst in jedem Bereich der Wirtschaft – deshalb müssen wir gerade auch die Talente der jungen NEETs nutzen und sie in den Arbeitsmarkt integrieren.“

Was ist ein NEET? Zahlen und Fakten –

  • Die Abkürzung steht für einen Menschen zwischen 15 und 24 Jahren „Not in Education, Employment or Training“. Heißt: Der- oder diejenige arbeitet nicht und ist auch nicht in einer Ausbildung oder sonstigen Schulung aktiv.
  • Die NEET-Quote erfasst den Anteil dieser inaktiven jungen Leute. In Deutschland lag die NEET-Quote 2022 bei rund 6,8 Prozent. Das ist laut Statistik-Amt Eurostat Platz acht unter den 27 EU-Staaten. Am besten stehen die Niederlande da, dort gibt es demnach nur 2,8 Prozent NEETs.
  • 630.000 Menschen zwischen 15 und 24 Jahren lebten bei uns außerhalb des Schulsystems und Arbeitsmarktes.
  • 97.000 Ausbildungsplätze in Betrieben konnten 2021 nicht besetzt werden.
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