Standort Deutschland
Warum Zölle so schädlich sind
Schränken Staaten den freien Handel ein, sinkt der Wohlstand – auf beiden Seiten
von Thomas Hofinger

Brüssel/Frankfurt. Spätestens Mitte Juli wird es wieder spannend. Denn dann endet die 90-tägige „Zoll-Pause“, die derzeit noch einen Handelskrieg zwischen den USA und der EU verhindert. Wie sieht die Branche auf die aktuelle Lage?
Michael Berthel, Chefvolkswirt des Wirtschaftsverbands wdk, kann aus den Marktdaten schon erkennen, dass „die Zeitspannen vor Inkrafttreten der US-Zölle und der laufenden 90-Tage-Aussetzung von den Unternehmen für eine Materialbevorratung und für vorgezogene Exportlieferungen“ genutzt worden sind.
Welche Handelspolitik US-Präsident Donald Trump künftig verfolgen werde, bleibe „undurchsichtig“ – aber: „Nach unserer Einschätzung verbessern sich aktuell die Aussichten auf eine abgemilderte US-Zollpolitik stetig. Darauf weisen etwa die Deeskalation des US-Zollstreits mit China und Verlautbarungen über produktive Gespräche zwischen der EU und den USA hin.“ Vielleicht ist beim Außenhandel also bald wieder alles im Lot.
Aber warum wären dauerhaft hohe Zölle eigentlich so schädlich? Freier Handel führt in der Regel zu mehr Wohlstand auf beiden Seiten der Grenze. Das gilt sogar, falls eines der Länder alle Güter produktiver herstellt als das andere! Selbst dann lässt sich gewinnbringend Handel treiben – weil Spezialisierung die Produktivität hier wie dort erhöht. Diese Theorie der komparativen Kostenvorteile, die der britische Ökonom David Ricardo vor gut 200 Jahren entwickelt hat, ist eine ökonomische Binsenweisheit.
Zölle erhöhen letztlich die Preise
Es hat also Nachteile für beide Seiten, wenn der freie Handel behindert wird. Bei Zöllen ist das ganz offensichtlich: Die sind letztlich eine Art Extra-Steuer, die Waren ausländischer Firmen teurer macht. Beispiel: Wird ein Produkt im Wert von 100 Euro mit 25-prozentigem Importzoll belegt, muss der Käufer 125 Euro bezahlen; 25 Euro davon kassiert der Staat. Diese politische Verzerrung der für eine Marktwirtschaft ganz zentralen Preissignale hat zwangsläufig Folgen.
Akzeptiert der Käufer den höheren Endpreis, zahlt er mehr für die gleiche Ware. Ist der Käufer ein Betrieb und die Ware eine Vorleistung, wird die Firma versuchen, die Zoll-Kosten an die eigenen Kunden weiterzugeben. Wenn sich so Preise für importierte Waren erhöhen, treibt das die Inflation an. Entscheidet sich der Käufer aber lieber für ein einheimisches Produkt, das „nur“ 110 Euro kostet, zahlt er 10 Euro mehr, als eigentlich nötig wäre (und das womöglich für schlechtere Qualität).
Neue Zölle beeinträchtigen die Effizienz der globalen Lieferketten, schon durch die zusätzliche Bürokratie. Sie ändern Handelsströme: Wenn Unternehmen vor Zollschranken stehen, suchen sie sich bald neue Kunden und/oder Lieferanten in anderen Staaten. Und schließlich können neue Zölle schnell zu Vergeltungsmaßnahmen der betroffenen Staaten führen – es droht eine Zollspirale mit üblen Folgen für die Weltwirtschaft. Langfristig zeigt sich zudem: Wird ausländische Konkurrenz mit Zöllen ferngehalten, fehlt der Anreiz für inländische Firmen, ständig besser zu werden. Daher sinkt die Qualität der Produkte in Staaten, die sich vom freien Handel abschotten.
Gemeinsam stärker: Die EU setzt auf neue Handelsabkommen
Wenn es um den Außenhandel geht, hat auch die neue Bundesregierung in Berlin nicht viel zu melden – denn darüber wird in Brüssel entschieden.
Für Zölle wie für Handelsabkommen ist schon seit Langem nicht mehr Deutschland allein zuständig, sondern die EU. Festgeschrieben ist das im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, der eine gemeinsame Handelspolitik vorsieht: etwa „für die Änderung von Zollsätzen, den Abschluss von Zoll- und Handelsabkommen und für die Handelsaspekte des geistigen Eigentums“, aber auch „für die Ausfuhrpolitik sowie die handelspolitischen Schutzmaßnahmen, zum Beispiel im Fall von Dumping“.
Als Hüterin des freien Handels weltweit soll eigentlich die Welthandelsorganisation (kurz WTO) agieren, auch Streitfälle soll sie schlichten. Allerdings sind viele der multilateralen WTO-Regeln veraltet – schon, weil für Änderungen Einstimmigkeit der 166 Mitglieder nötig wäre. Logische Folge: Bilaterale Abkommen sind weltweit auf dem Vormarsch. Und die EU mischt da munter mit. Wichtige Beispiele:
Im Dezember 2024 haben sich die EU sowie die Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay nach langen Verhandlungen auf ein Freihandelsabkommen geeinigt, das aber noch ratifiziert werden muss. Es soll vor allem Zölle weitgehend abbauen. Ein ähnlich gelagertes Interimsabkommen mit Chile greift seit Februar 2025.
Schon seit Februar 2019 gilt das Freihandels- und Investitionsschutzabkommen zwischen der EU und Japan, es schafft viele Zölle und andere teure Handelshemmnisse ab. Ein Freihandelsabkommen mit Vietnam ist seit 2020 in Kraft.
Das Abkommen CETA mit Kanada wird seit 2017 vorläufig angewendet. Es ist aber noch nicht von allen Staaten ratifiziert worden (in Deutschland haben Bundesrat und Bundestag auch erst 2022 zugestimmt). Seit 2021 gilt das Handels- und Kooperationsabkommen mit Großbritannien, das durch den EU-Austritt der Briten nötig geworden war.
Und die Verhandlungen der EU mit Indien haben erst kürzlich neuen Schub bekommen, ebenso ein geplantes Abkommen mit Malaysia.