Standort Deutschland

Ein Arbeitsleben ist viel zu kurz …

Tüchtig und unermüdlich – so werden die Deutschen im Ausland gesehen. Eine Studie räumt mit dem Klischee auf: Wir arbeiten weniger als unsere europäischen Nachbarn

von Alix Sauer

· Lesezeit 2 Minuten.
Silver Worker: Von den Erfahrungen der Älteren profitieren die jungen Mitarbeiter. Foto: picture alliance/Westend61

München. Die Bundesbürger gelten international als fleißig und strebsam. So lautet zumindest ein gän­giges Klischee. Doch lässt sich das mit Fakten belegen? Eine neue Studie im Auftrag des Roman-Herzog-Instituts (RHI) kommt jedenfalls zu anderen Ergebnissen. Die Studienautoren vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln haben errechnet, wie hoch die Lebensarbeitszeit in Deutschland und in vielen anderen europäischen Ländern ist. Dabei kam heraus: Deutschland liegt auf dem vorletzten Platz – noch weniger arbeiten nur die Luxemburger!

Wir arbeiten bis zur Rente im Schnitt 52.662 Stunden

Um die Lebensarbeitszeit zu ermitteln, zogen die Experten verschiedene Daten heran: etwa den Eintritt ins Erwerbsleben, die wöchentliche, monatliche, jährliche Arbeitszeit, den Anteil an Voll- und Teilzeitbeschäftigten und den Renteneintritt. So arbeiten die Deutschen rechnerisch während ihres Lebens knapp 53.000 Stunden. Die Beschäftigten im erstplatzierten Estland kommen dagegen auf über 71.000 Stunden, die Schweizer auf rund 64.000 Stunden. Unsere Grafik zeigt beispielhaft einige der 29 untersuchten europäischen Staaten.

„Schön für uns“, könnten wir uns über das Abschneiden Deutschlands freuen. Doch so einfach ist es nicht. Denn wenn die Bevölkerung eines Landes wenig arbeitet, fließt auch weniger Geld aus Erwerbseinkommen in die Sozialkassen, auch die Rentenkasse. Das wird zunehmend ein Pro­blem, weil spätestens ab 2025 die geburtenstarke Boomer-Generation in den Ruhestand geht, aber weniger junge Menschen nachrücken. Allein deshalb klafft bei uns ab dem Jahr 2030 eine Lücke von drei Millionen Arbeitskräften! Das verschärft den Fachkräftemangel, der jetzt schon vielerorts vorherrscht.

Was lässt sich dagegen tun?

Auch das haben sich die Studienautoren angeschaut. Potenzial für eine Ausweitung des Arbeitsvolumens über das gesamte Erwerbsleben hinweg gibt es. Es liegt unter anderem in längerer Erwerbstätigkeit, heißt: Das Rentenalter wird heraufgesetzt. Oder die Ruheständler arbeiten weiter, auch wenn sie schon Rente beziehen. Das würde nicht zuletzt den Vorlieben zahlreicher älterer Menschen entsprechen – viele wünschen sich einen flexibleren Übergang in den Ruhestand als derzeit möglich. Tatsächlich zeigt ein Blick auf Länder mit hoher Lebensarbeitszeit, dass dort viele „Silver Worker“ einer Beschäftigung nachgehen. So nennt man Ruheständler, die nach Renteneintritt weiterarbeiten. In Island und Japan macht das fast die Hälfte aller 65- bis 69-Jährigen, in den USA sind es gut 30 Prozent. In Deutschland dagegen arbeiten nur rund 19 Prozent dieser Altersgruppe.

Für Professor Randolf Rodenstock, den Vorstandsvorsitzenden des RHI, ist daher klar: „Beim Thema Lebensarbeitszeit müssen wir über den deutschen Tellerrand hinausblicken, wenn wir die Folgen des demografischen Wandels wirksam abmildern wollen.“ Natürlich könne nicht jede berufliche Tätigkeit beliebig lange ausgeübt werden. Aber viele Ältere blicken auf einen breiten Erfahrungsschatz zurück, sind oft noch gesund, fit und motiviert: „Dieses Potenzial dürfen wir nicht verschenken.“

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