Standort Deutschland

Kampf um IT-Fachleute

Abertausende Stellen für IT-Fachkräfte sind offen. Quer durch alle Branchen. Die Folgen für die 
Wirtschaft sind fatal. Umso heftiger buhlen die Firmen um fähige Bewerber. Wir waren dabei.

von Ulrich Halasz

· Lesezeit 4 Minuten.
Quer durch alle Branchen: Deutschlandweit fehlen 137.000 IT-Fachleute. Foto: Seventyfour - stock.adobe.com

Auf dem Gelände der Messe in der bayerischen Landeshauptstadt stehen Grüppchen junger Menschen in der Vormittagssonne. Allesamt Tekkies: IT-Experten, Software-Developer, Designer, Sicherheitsexperten, App-Spezialisten. Die Stimmung ist partymäßig, alle wissen: Wenn gleich die Glastüren zur Karrieremesse für IT-Fachkräfte aufgehen, werden sich die Firmenvertreter um sie reißen. „Du fühlst dich wie ein Topmodel auf einer Singleparty“, sagt einer der Wartenden. Als Bewerber könne man das genießen, „Motto: Alles kann, nichts muss“, sagt er noch. Dann gehen die Türen auf.

Bewerber kennen ihren Wert ganz genau

Klingt ja lustig. Aber: Der Wirtschaft ist angesichts des immer dramatischeren Fachkräftemangels gerade bei technischen Berufen das Lachen vergangen. Laut einer aktuellen Erhebung des Berliner Digitalverbands Bitkom fehlen den Unternehmen hierzulande derzeit sage und schreibe 137.000 IT-Expertinnen und -Experten. Und zwar quer durch alle Branchen. Bitkom-Chef Achim Berg schlägt daher mächtig Alarm: „Dieser Fachkräftemangel entwickelt sich zum Haupthindernis bei der digitalen Transformation.“

Besserung sei zudem nicht in Sicht. Daran ändere auch die jüngste Entlassungswelle im Silicon Valley in den USA gar nichts. Im Gegenteil. „Der Mangel wird sich in den kommenden Jahren dramatisch verschärfen, wenn die Boomer in Rente gehen“, warnt Berg. Mit Recht. Digitalisierung, Mobilitätswende, klimafreundliche Produktion, Innovation wie Robotik oder künstliche Intelligenz – wie soll man das denn alles gewuppt bekommen als Land? Als Volkswirtschaft. Ohne ausreichende Zahl an schlauen Computer-Köpfen?

Festival-Stimmung und Gratis-Snacks

Zurück in München. Seit ein paar Stunden sind die Türen jetzt offen, die Halle ist prop­pevoll. Dutzende von Firmen haben ihre Stände aufgebaut, vom Start-up bis zum Weltkonzern ist alles dabei. Ein Elektrokonzern verteilt an seinem Stand Weißwürste und Hipster-­Cola, gratis natürlich, Hauptsache, es kommen genug Leute vorbei und bleiben ein wenig am Stand kleben. Es herrscht Festival-­Atmosphäre, Krawatten sind keine zu sehen, jeder duzt sich.

Lukas Leitenberger aber sieht trotzdem ein wenig gestresst aus. Obwohl selber erst 29 Jahre jung, verantwortet Leitenberger die Software-Entwicklung beim schwäbischen Maschinenbaukonzern Voith. Sein Job heute hier: Talente für sein Unternehmen mit Hauptsitz im beschaulichen Heidenheim begeistern: „Wir sind so groß, wir brauchen alles. Alles!“ Selbst Freiberufler seien mittlerweile immer schwerer zu finden. Und wenn, dann fielen deren Rechnungen immer fetter aus. Leitenberger: „3.000 Euro sind da mittlerweile üblich. Am Tag.“ 

Die Zeiten, in denen das als Monatsgehalt für Berufsanfänger durchging – vorbei. „Wer sich als Bewerber auf so einer Messe umsieht, kennt seinen Wert ganz genau“, sagt die Personalerin eines Weltkonzerns. Der hat seinen Stand ein paar Meter von Voith entfernt aufgebaut, verteilt fleißig Kulis und Jutetaschen. In der Zeitung erwähnen aber solle man das Weltunternehmen dann aber – bitte, bitte – doch nicht. Was noch verraten wird: „Immer mehr wird hier nach flexiblen Arbeitszeitmodellen gefragt, wer als Arbeitgeber da nichts anbieten kann, geht wahrscheinlich leer aus.“

Selbst Berufsanfänger scheuten sich nicht, direkt am Stand nach Sabbaticals zu fragen. Man selbst profitiere bei der Talentjagd zwar noch vom Ruf des Unternehmens. Trotzdem werde es auch für die Dickschiffe in der deutschen Wirtschaft immer schwerer, Stellen zu besetzen. „Wenn wir heute auf dieser Messe 100-mal unsere Daten rausgeben, kommen am Ende vielleicht drei, vier Bewerbungen dabei rum.“ Beim Continental-Konzern zum Beispiel, in dem auch Reifen und technische Elastomerprodukte entstehen, waren Ende Februar weltweit mehr als 100 IT-Stellen zu besetzen, mit unterschiedlichsten Spezialisierungen und vom Werkstudenten über den „Product Owner“ bis zum Abteilungsleiter.

Alarmstufe Orange bei den Studi-Zahlen

Die Zahl der Informatikstudenten verheißt keine Entspannung für die Fachkräftesuche. Begannen 2019 noch knapp 80.000 junge Menschen ein IT-Studium, waren es 2021 nur noch 72.000. Problem: Weniger als die Hälfte schließen ihr Studium auch ab.

Und jetzt? Bildungsexperten wie Axel Plünnecke vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln fordern daher das große Besteck: „Informatik als Pflichtfach in der Schule, in allen Bundesländern!“ Dazu, so Plünnecke, sollte bei der Berufs- und Studienorientierung stärker deutlich gemacht werden, welchen positiven Effekt IT-Expertinnen und -Experten für den Klimaschutz haben. „Und es muss weiter für Zuwanderung in die IT-Berufe geworben werden. Hier hat in den letzten Jahren vor allem auch Zuwanderung aus Indien zur Fachkräftesicherung beigetragen.“

Und geht es nach dem Digitalverband Bitkom, haben viele neue IT-Fachkräfte in Deutschland in Bälde auch einen – russischen Pass. Rund 59.000 Stellen könnten mit ITlern aus Russland und Belarus besetzt werden, schätzt der Verband. Nach eingehender Sicherheitsprüfung, versteht sich.

IT-Fachkräfte - die Fakten

  • IT-Experten fehlen trotz bester Karrierechancen
  • 944.000 Beschäftigte arbeiten in Informatikberufen
  • 137.000 IT-Stellen sind aktuell in der Wirtschaft offen
  • 7 Monate vergehen, bis ein  IT-Job wieder besetzt ist
  • Das Einstiegsgehalt liegt derzeit bei rund 53.000 Euro brutto
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